Nur die Liebe heilt
Perlen und Schmucksteine ansehen und überlegen, welche Farben deine Mutter am liebsten hat.“
Hannah zog ein etwas älteres Handy aus der Tasche und sah auf die Zeitanzeige. „Ich muss jetzt gehen. Ähm, ich arbeite am Eisstand drüben beim Baumarkt, und nachmittags ist immer besonders viel los. Kann ich ein anderes Mal wiederkommen?“
„Na sicher. Wenn ich nicht hier sein sollte, dann ist Claire oder jemand anderes da, der dir helfen kann. Denk einfach mal darüber nach, was für Ohrringe deine Mom mag, dann schauen wir uns die Bücher an und suchen uns ein Superdesign für sie aus.“
„Aber trotzdem was Einfaches, ja?“
„Ganz klar.“
„Danke. Das ist wirklich nett von Ihnen.“ Hannahs süßes Lächeln ließ ihr etwas grobes Gesicht hübsch und strahlend werden. „Ich habe aber nicht viel Geld. Ich kann wahrscheinlich nur ein Paar machen.“
„Das kriegen wir schon hin. Wir haben bestimmt ein paar Sachen übrig, die wir dir günstig geben können.“ Falls Claire etwas dagegen haben sollte – was sicher nicht der Fall war –, dann hatte sie selbst jede Menge Steine und Perlen, die sie dem Mädchen schenken konnte.
„Dann bis bald, ja?“
Das Mädchen lächelte. Sie sah so viel glücklicher aus als zuvor. „Toll. Danke. Vielen, vielen Dank.“
Hannah eilte zur Tür und streckte gerade die Hand nach dem Knauf aus, als Katherine Thorne den Laden betrat.
Evie rutschte das Herz in die Hose, all die Befürchtungen der vergangenen schlaflosen Nacht kamen wieder hoch.
Katherine war wie immer äußerst elegant – von ihrem aschblond gesträhntenkinnlangen Haar bis zu ihren Riemchensandalen und den lackierten Fußnägeln. Dennoch hatten die letzten drei Monate seit dem Unfall ihrer Enkelin erkennbar ihren Tribut verlangt. Sie war dünner denn je und hatte ein paar Falten mehr bekommen.
Das gute Gefühl, das Evie gerade noch bei der Vorstellung gehabt hatte, einem jungen Mädchen zu helfen, verpuffte umgehend. Zu Brodie Thorne Nein zu sagen war so leicht gewesen, wie eine einzelne Perle auf einen Faden zu ziehen – etwas, das sie im Schlaf konnte. Doch Katherine zu enttäuschen war eine ganz andere Sache.
Hannah verließ mit einem unsicheren Lächeln den Laden, und Katherine schloss die Tür hinter ihr. Evie suchte händeringend nach einer Ausrede, um nicht mit ihrer Freundin sprechen zu müssen. Aber Hannah war gegangen, und die beiden jungen Mütter schienen leider vollkommen zufrieden damit zu sein, die Zeitschriften durchzublättern, während ihre Kinder in der Spielecke kicherten.
Evie saß in der Falle. Sie riss sich zusammen, begrüßte Katherine mit der üblichen warmherzigen Umarmung und atmete den blumigen Duft von Estee Lauder Beautiful ein, des Parfüms, das Katherine benutzte. Katherine fühlte sich zerbrechlich an, ihre Knochen standen scharf hervor. Sie aß einfach nicht genug. Wie viel mehr Verantwortung würde sie sich aufbürden, wenn ihre Enkelin nach Hope’s Crossing zurückkam?
„Wie war deine Reise, Liebes?“, erkundigte sich Katherine.
Evie trat einen Schritt zurück. „Sehr schön. Der Markt war dieses Jahr gut besucht, und die Leute waren auch wieder bereit, Geld auszugeben.“
„Ich war auch ein- oder zweimal dort und fand es toll.“
Katherine schien nicht wütend zu sein. Sie schrie nicht und fragte nicht, wie Evie sie nur derart enttäuschen konnte. Vielleicht wusste sie noch gar nicht, dass Brodie sie gefragt hatte – oder dass ihre Antwort Nein gewesen war.
Aber das konnte sie sich nicht vorstellen. Katherine trug einen entschlossenen Gesichtsausdruck zur Schau, und Evie war nicht so naiv zu glauben, dass Brodies Mutter hier war, um sich Perlen anzusehen.
Sie tauschten noch einige Freundlichkeiten aus, bis Evie es fast nicht mehr ertragen konnte und aufseufzte. „Also gut. Du kannst auch einfach mit der Sprache rausrücken, Kat. Brodie hat dich geschickt, um mich umzustimmen, richtig?“
Katherine kräuselte die Nase. „Ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst.“
„Ha.“ Evie strich einige der Ketten glatt, die an der Wand hingen, nur um ihre Hände zu beschäftigen. Genau das hatte sie die ganze Nacht wach gehalten, die Furcht, dass sie gezwungen sein würde zu entscheiden, ob sie ihr zufriedenes Leben aufgeben oder eine sehr, sehr gute Freundin verlieren wollte.
In gewisser Weise war Katherine eine Ersatzmutter für sie geworden. Nach Cassies Tod war ihre E-Mail-Freundschaft ein Trost für sie gewesen, ein Hoffnungsschimmer. Als
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