Nur die Liebe heilt
Hilfe seiner Mutter hatte Brodie es irgendwie geschafft, Taryn ein stabiles Zuhause zu bieten, mit allem, wonach ein Kind verlangen konnte.
Allerdings hatte er ihr nicht besonders viel von sich selbst gegeben. Während der letzten Jahre war ihre Beziehung schwierig gewesen, voller Streit und Wutausbrüche. Als sie dreizehn wurde, musste er feststellen, dass er nicht die geringste Ahnung von pubertierenden Mädchen und ihren Stimmungsschwankungen hatte. Bei all den Diskussionen und Androhungen von Hausarrest hatte er nicht bemerkt, dass Taryn immer mehr vom Weg abgekommen war und sich mit einer Clique eingelassen hatte, in der Alkohol getrunken wurde und die sogar in Häuser einbrachen.
Vor dem Unfall war er also vielleicht ein schlechter Vater gewesen, aber dieses Mal würde er seine Tochter nicht im Stich lassen. Er war fest entschlossen, die bestmögliche Hilfe für sie zu finden, um ihr Reha-Programm zu Hause fortzusetzen. Und ob es ihm nun passte oder nicht, war Evie Blanchard genau die richtige Person dafür.
Welche Rolle spielte es, dass er sie persönlich nervig und provozierend fand? Er war ein erwachsener Mann, er konnte das aushalten, vor allem, wenn sie die Person war, die seiner Tochter die bestmögliche Pflege garantieren konnte.
2. KAPITEL
Am nächsten Morgen wachte Evie früh auf, erschöpft und mit geschwollenen Augen. Jacques steckte seine Schnauze in ihren Nacken, und sie lachte heiser.
„Ja, okay. Ich weiß, was du willst“, murmelte sie. Sie setzte sich behutsam auf, alle Knochen schmerzten von dem langen Wochenende. Jacques musste hinaus, und ein früher Marsch über den Woodrose-Wanderweg war jetzt genau das Richtige, um fit zu werden.
Schnell kleidete sie sich an, schnappte sich zehn Minuten später Jacques’ Leine und lief mit ihm hinaus in die Morgendämmerung.
Als sie den Ausgangspunkt des Weges erreicht hatten, waren sie beide schon etwas ruhiger. Der Pfad war feucht vom nächtlichen Regen, und Evie fragte sich, ob man von dem intensiven Duft des durchnässten Salbeis und der Kiefern berauscht werden konnte.
Je weiter sie nach oben stieg, desto atemberaubender wurde die Aussicht, die sie jedes Mal aufs Neue überwältigte. Hope’s Crossing wirkte klein und provinziell, vor allem im Schatten der riesigen Bergketten, die sich nach allen Richtungen ausbreiteten.
Die Stille war so vollkommen anders als der Lärm und Verkehr in L.A. – und sie hätte um nichts in der Welt tauschen wollen. Als sie in Hope’s Crossing angekommen war, erschöpft und verloren, hatte sie hier, wo sie atmen und denken konnte, nach und nach wieder zu sich selbst gefunden. Der Schmerz, die Trauer und die Selbstzweifel waren langsam geheilt.
Allerdings nicht ganz und gar. Seufzend hielt sie das Gesicht in die Sonne, die hinter dem Gipfel aufging. Gerade als sie geglaubt hatte, endlich einen guten Platz für sich gefunden zu haben, zufrieden mit sich und der Welt, schlug ihr die Realität wieder mitten ins Gesicht wie ein unerwarteter Ast, der sich über ihren Lebensweg streckte.
Müde von dem Wochenende, hatte sie nicht gut geschlafen und wilde Träume voller Erinnerungen und alter Gespenster gehabt. Da musste man nicht lange überlegen, wer schuld daran war. Brodie Thornes unerwartete Bitte war wohl die ganze Nacht durch ihre Gedanken gegeistert.
Sie kam sich wie ein Feigling vor, weil sie abgelehnt hatte. Aber das war sie nicht. Es hatte sie viel Mut gekostet, ihren Beruf aufzugeben, ihr Heim und ihre Freunde, und etwas zu suchen, das sie in L.A. nicht mehr finden konnte. Sie hatte hart dafür gekämpft, ihr Gleichgewicht wiederzugewinnen – Harmonie oder Erlösung, wie immer man es nennen wollte. So sehr ein Teil von ihr auch ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Absage hatte, so wusste sie doch, dass ein Nein die einzig richtige Antwort gewesen war.
Nachdem sie und Jacques sich genug bewegt hatten, lief sie den Weg wieder hinab, vorbei an einigen Touristen – angesichts der Wanderstäbe und Birkenstock-Schuhe und mit diesem gewissen Elan offensichtlich Europäer. Sie grüßten sie mit starkem Akzent, dann sagten sie etwas in melodischem Französisch und zeigten dabei auf Jacques mit seinem Labradorkörper und dem wolligen Pudelfell, das sie im Sommer kurz scheren ließ. Er schenkte ihnen ein hoheitsvolles Nicken, bevor er weiter den Pfad hinuntertapste, und Evie streichelte ihm lächelnd den Kopf. Mann, wie sie diesen Köter liebte.
Zurück in ihrer Wohnung, verbrachte sie den Morgen mit einigen
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