Nur ein einziger Kuss, Mylord?
wahrscheinlich ihren Segen gegeben. Sie war nicht dumm, und die Vorteile einer solchen Verbindung lagen auf der Hand. Es war sogar vorstellbar, dass sie dadurch selbst eine akzeptable Partie machen konnte.
„Ihr Bruder hat sich mit meiner Schwester angefreundet.“
Miss Daventrys Hand, mit der sie die Teetasse zum Mund führen wollte, verharrte mitten in der Bewegung. Alle Farbe wich aus ihren Zügen. „Ihre Schwester …?“ Mit einem leichten Klirren wurde die Teetasse auf dem Unterteller abgesetzt. „Ist Ihre Schwester zufällig Miss Trentham?“
„Ja.“ Also hatte Daventry ihr von Lissy geschrieben. „Meine Halbschwester.“
Sie saß wenn möglich noch aufrechter, einen entschlossenen, unnachgiebigen Zug um den Mund. Trotz ihrer blassen Wangen wirkte sie beinahe erhaben.
Zum Teufel damit! Zweifellos würde sie die ehrgeizigen Heiratspläne ihres Bruders bis aufs Messer verteidigen. Warum sollte sie nicht? Eine derartige Verbindung wäre die Rettung für sie.
Julian biss die Zähne zusammen.
Es hatte die Pflicht, Lissy zu schützen. Alles andere war nicht von Bedeutung. Selbst wenn er Miss Daventrys Stolz in den Staub treten musste.
„Wie außerordentlich bedauerlich“, sagte sie ruhig. „Ich gehe davon aus, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun, um diese Sache zu unterbinden.“
Bedauerlich ?Aus ihrem Blickwinkel? Er war es, der Grund hatte, Mr. Daventry zu missbilligen. Was sollte sie gegen Lissy einzuwenden haben?
„Ich wüsste nicht, womit meine Schwester Ihre Ablehnung verdient hätte“, erwiderte er in einem Ton eisigen Hochmuts.
„Wieso sollte ich Vorbehalte gegen Miss Trentham hegen, wenn ich sie doch gar nicht kenne?“, gab sie unbeeindruckt zurück. „Was ich missbillige, ist …“ Sie hielt inne, und ihre Wangen röteten sich. „Ich denke, ich verstehe den Zweck Ihres Besuchs, Mylord. Es soll eine Warnung an Harry sein. ‚Halte dich von meiner Schwester fern, dann halte ich mich von deiner fern.‘ Ist es das?“
Empörung schoss in ihm hoch. „Wie bitte?“ Gott sei Dank hatte sie seinen eigentlichen Verdacht nicht erraten.
Sie sah ihn unerschrocken an. „Wenn es nicht der Fall ist, muss ich mich entschuldigen, was ich hiermit tue. Ich konnte mir keinen anderen Grund für Ihren Besuch vorstellen.“
War es möglich, dass sie Kenntnis von seinem Ruf hatte – etwa durch die Briefe ihres Bruders?
„So will es mir scheinen, Madam“, erwiderte er. „Aber wie ich schon sagte, ich bin ein Gentleman, was immer Sie an Gegenteiligem gehört haben mögen.“
„Ihr Ruf geht mich nichts an, Mylord.“ Sie nahm ihre Tasse und nippte an ihrem Tee.
„Was lässt Sie glauben, dass ich einen habe, Miss Daventry?“ Und zwar einen von der Sorte, die man mit einer ehrbaren Frau nicht besprach, wie er sich im Stillen eingestehen musste.
Über den Rand ihrer Tasse hinweg musterte sie ihn nachdenklich, bevor sie antwortete: „Jeder hat einen Ruf, Mylord. Die Frage ist lediglich …“, sie nahm einen Schluck, „welchen. Und da Sie ein Mann sind, geht mich Ihrer nichts an.“
„Dennoch haben Sie Bezug darauf genommen, Madam.“
Sie hob die Brauen. „Ich, Mylord? Ganz gewiss nicht. Es war Ihre Bemerkung, dass ich unschmeichelhafte Dinge über Sie erfahren haben könnte, die den Schluss nahelegte, dass Ihnen – verdient oder nicht – ein Ruf vorauseilt.“
Julian verschluckte sich fast an seinem Tee. Argumentierte sie immer so stichhaltig? Serena, erkannte er, hätte ihr dafür applaudiert.
„Wir sprachen von Ihrer Schwester, Mylord“, wechselte sie das Thema. „Ich habe nichts gegen Miss Trentham. Aber ich habe etwas gegen das Interesse meines Bruders an ihr.“
„Eine gute Unterscheidung. Würde es Ihnen etwas ausmachen, Ihre Einwände auszuführen?“
Sie reckte das Kinn.
„Über dem Kamin hängt ein Spiegel, Mylord. Betrachten Sie sich darin. Vergegenwärtigen Sie sich Ihre Herkunft. Ihren Besitz. Machen Sie sich Ihren Rang bewusst. Dann schauen Sie sich um und sagen Sie mir, was Sie sehen.“
Er antwortete nicht. Ihre nüchterne, nichts beschönigende Einschätzung kam seiner eigenen gleich. Seine ebenso offene, schonungslose Erwiderung hätte lauten müssen, dass alles in diesem Raum von Verarmung sprach. Aber angesichts ihrer stillen Würde brachte er die Worte nicht über die Lippen. Was eine unverzeihliche Dummheit war.
„Ihr Schweigen ist Antwort genug“, sprach sie nach einem Moment weiter. „Harry und Miss Trentham kommen aus verschiedenen Welten.
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