Nur ein einziger Kuss, Mylord?
Sie, Mylord, können unmöglich damit einverstanden sein, dass Ihre Schwester einen solchen Schritt tut. Ich nehme an, das war es, was Sie mir mitteilen wollten, und sicherlich auch, dass Sie Harry untersagt haben, Ihre Schwester wiederzusehen.“
„Nicht ganz, Miss Daventry.“
Er hatte zwar genau diese Absicht gehabt, aber Serena war gegen ein solches Verbot gewesen.
Miss Daventry starrte ihn an, und er spürte, wie es um seine Mundwinkel zu zucken begann.
Seine Reaktion brachte sie aus dem Konzept.
„Sie können diese Verbindung nicht gutheißen!“ Ein Ausdruck von Fassungslosigkeit schwang in ihrer Stimme mit.
„Selbstverständlich nicht“, erwiderte Julian. „Aber meine Schwester hat einen störrischen Charakter, und in vier Jahren, wenn sie volljährig ist, kann ich ihr nichts mehr verbieten. Ich teile Ihre Bedenken, ungeachtet Ihrer Verbindungen mit dem Duke of Alcaston …“
„Meiner was ?“
„Alcaston, der Pate Ihres Bruders.“ Julian musterte ihr leichenblasses Gesicht. „Sind Sie in Ordnung, Miss Daventry?“
„Ja … ja, vollkommen.“ Langsam kehrte die Farbe in ihre Wangen zurück. „Das hat Harry Ihnen gesagt, nicht wahr? Es macht hoffentlich keinen Unterschied für Sie?“
„Nein“, erwiderte er ernst. „Ihr Bruder ist trotzdem keine angemessene Partie für meine Schwester, nicht einmal mit der Leibrente, die Seine Gnaden für ihn ausgesetzt hat.“
Sie nickte. „Also haben Sie Harry das Haus verboten und …“
„Nein, das habe ich nicht.“ Serena hatte ihn davon überzeugt, dass der schnellste Weg, heimliche Rendezvous zu begünstigen, der war, Begegnungen, die die Möglichkeit der Beaufsichtigung boten, zu untersagen. Es leuchtete ihm ein, obwohl …
„ Nein ? Was für ein Bruder sind Sie überhaupt?“
Das saß. „Ein guter, hoffe ich“, gab er gekränkt zurück. „Ja, natürlich hätte ich den beiden jeglichen Umgang miteinander verbieten können! Aber was würde es nützen, wenn Lissy sich dann als tragische Julia betrachtet und mit ihrem vermeintlichen Romeo durchbrennt?“ Das hatte jedenfalls Serena zu bedenken gegeben.
„Lissy?“
„Wir nennen sie Lissy. Ihr Taufname ist Alicia“, erklärte er.
„Verzeihen Sie mir, ich hatte nicht die Absicht, Ihnen vorzuschreiben, wie Sie das Leben Ihrer Schwester reglementieren …“
„Ich hoffe doch, dass ich das nicht tue“, unterbrach er sie trocken.
Sie wurde rot. „Verzeihung, ich …“
„Hören Sie auf, sich zu entschuldigen, sonst komme ich noch auf die Idee, dass Sie mir Honig ums Maul schmieren möchten.“
„ Nichts , Mylord, läge mir ferner.“
„Ich dachte es mir“, murmelte er.
Das brachte sie zum Schweigen. Ihr strafender Blick indes hätte die Luft zwischen ihnen in Brand setzen können.
Julian grinste – er konnte nicht anders. Wie sehr wünschte er, Serena wäre Zeuge dieses Wortwechsels! Bei dem Gedanken stutzte er. Serena würde diese spröde, freimütige junge Frau mögen. Eine junge Frau, die in Kürze ihr Heim verlassen musste … Und Lissy brauchte eine ordentliche Dosis Ernüchterung, die sie davon überzeugte, dass ein Leben mit Harry Daventry nicht ihr Traum vom Liebesglück sein würde, sondern ein Albtraum. Ja. So konnte es gehen. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er hätte sich auf die Schulter klopfen mögen.
Aber dann fiel ihm ein, dass nicht nur Miss Daventrys Zusage noch ausstand, sondern dass er ihr das Angebot auch noch gar nicht gemacht hatte.
„Miss Daventry“, begann er, „soweit ich Ihrem Gespräch mit Goodall entnahm, wollen Sie sich eine neue Unterkunft suchen, wenn dieses Haus verkauft ist.“
„Bis ich eine Anstellung als Gesellschafterin oder Gouvernante gefunden habe.“
Er konnte sein Glück kaum fassen. „Ich frage mich, ob ich Ihnen ein Angebot für die Position einer …“
„Nein! Auf gar keinen Fall!“, unterbrach sie ihn empört.
Ihr Gesicht war flammend rot geworden. „Ich mag in einer heruntergekommenen Gegend leben“, fuhr sie aufgebracht fort. „Aber das bedeutet nicht, dass …“ Sie verstummte und biss sich auf die Lippe.
Julian begriff, dass Miss Daventry – eine achtbare Frau in ärmlichen Verhältnissen –, unabhängig davon, ob sein Ruf ihm vorausgeeilt war oder nicht, allen Anlass hatte, Angeboten von Gentlemen mit Misstrauen zu begegnen.
„Meine Stiefmutter braucht eine Gesellschafterin“, führte er aus. Und wartete ab.
Er wurde enttäuscht. Außer dass die Röte in ihren Wangen sich vertiefte,
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