Nur ein Gerücht
Ich zog die Decke bis zu den Schultern hoch. Der Wind hatte aufgefrischt und machte mich frösteln.
»Sei nicht naiv, Carla. Er muss, nur deinen Preis um zwanzig Euro pro Monat unterbieten. Wenn es um Geld geht, ist auf die wenigsten Menschen Verlass. Je eher du das einsiehst, desto besser.«
Ich musste nur ihren Tonfall hören, um zu wissen, dass ihr Mund wieder jenen harten Zug angenommen hatte, der so gar nicht zu ihr zu passen schien. Als ich sie einmal nach den Gründen für ihre manchmal unnachgiebige Härte gefragt hatte, hatte sie mir zur Antwort gegeben, die Haut an ihren Füßen produziere auch Hornhaut, wenn es an einer Stelle immer wieder scheuere.
»Die Leute, die auf dem Bungehof ihre Pferde eingestellt haben, wissen, welchen Service sie geboten bekommen«, hielt ich ihr entgegen. »Geh mal in andere Ställe und schau, wie es dort zugeht. Wenn überhaupt Extras angeboten werden, dann musst du für jedes kräftig bezahlen. Und Streicheleinheiten gibt es überhaupt nicht. Ich habe nicht umsonst eine Warteliste.«
»Glaub mir, deine Warteliste reduziert sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden auf null, wenn ein besseres Angebot kommt.«
»Aber die Leute stellen ihre Pferde auf dem Bungehof ein, obwohl ich einen Preis verlange, der über dem der anderen liegt. Der Preis hat offensichtlich nicht oberste Priorität. Sie kommen wegen der besonders guten Pflege, die ich biete.«
»Wenn ich Hans Pattberg wäre und meinem Enkel das Feld bereiten wollte, würde ich den Leuten gleiche Leistung bei niedrigerem Preis versprechen.«
Das beklemmende Gefühl, das ich für eine Weile hatte abschütteln können, machte sich bei ihren Worten wieder in meiner Brust breit. »Hör auf, Susanne! Du machst mir Angst.«
»Es ist besser, Angst zu haben und wachsam zu sein, als die Augen vor der Realität zu verschließen.« Sie zündete sich eine Zigarette an. Ganz kurz war ihr Gesicht ins Licht des Feuerzeugs getaucht. »Gut, dass du dich von einem Anwalt beraten lässt. Zu wem gehst du?«
»Er heißt Ulf Neupert und hat seine Kanzlei in Lütjenburg.«
»Woher kennst du ihn?«
»Ich habe ihn mir aus dem Branchenbuch gesucht.«
Sie blies hörbar den Rauch aus. »Warum hast du mich nicht vorher gefragt? Ich hätte dir Viktor Janssen in Eutin empfohlen. Er ist Flints Anwalt und hat mir einmal in einer sehr schwierigen Situation geholfen.« Sie gab einen missbilligenden Laut von sich. »Man sucht sich ja auch keinen Arzt aus dem Branchenbuch.«
»Ich schon«, sagte ich genervt. »Der Bungehof steht schließlich auch im Branchenbuch und kann etwas auf sich halten.«
Außerdem käme Viktor Janssen für mich noch nicht einmal dann in Frage, wenn er weit und breit der einzige Anwalt wäre.
»Aber wenn du Zweifel an seinen Fähigkeiten hast ...«
»Können wir jetzt das Thema wechseln?«
Sie gähnte herzhaft. »Hast du Lust auf ein bisschen Hotel klatsch?«
»Taugt er dazu, mich auf andere Gedanken zu bringen?«
»Garantiert.« Sie rekelte sich genüsslich auf ihrer Liege, was eine ihrer Katzen dazu animierte, es sich neben ihr gemütlich zu machen und sich streicheln zu lassen. »Vor drei Tagen ist eine Sirene bei uns eingelaufen«, sagte sie mit einem kehligen Lachen. »Seit sie da ist, ziehen die Männer die Bäuche ein, während die Frauen versuchen, ihre Anwesenheit zu ignorieren. Blonder Augenaufschlag, wenn du weißt, was ich meine.« Ich stimmte in ihr Lachen ein. »Dann wird sie ja sicherlich nicht lange allein bleiben.«
»Sie war von Anfang an nicht allein. Auf ihrem Nachttisch steht ein Foto, das sie sparsam geschürzt im Arm eines Mannes zeigt, der ebenfalls vor drei Tagen bei uns abgestiegen ist samt Ehefrau, versteht sich.«
»Und die merkt nichts davon?«
»Wenn du mich fragst, will sie nichts merken. Ihr Mann ist attraktiv, hat anscheinend eine Menge Geld, und sie wird das gute Leben schätzen. Da kann man schon mal ein bisschen großzügig sein«, setzte sie spöttisch hinzu. »Die macht mir nicht den Eindruck, als wolle sie in ihren mittleren Jahren noch mal den Hintern bewegen und sich ihren Lebensunterhalt verdienen.«
»Muss ziemlich bequem sein, so ein Leben.« Ich geriet ins Schwärmen: »Morgens bis um zehn schlafen, in Ruhe frühstücken, die Putzfrau mit der Nase in die Ecken stoßen, die sie mal wieder nicht ausgewischt hat, ein bisschen Körperpflege, ein bisschen shoppen, das Abendessen im Delikatessgeschäft einkaufen...«
Susanne setzte meine Aufzählung in einem
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