Nur ein Gerücht
trockenen Tonfall fort: »Botox und Silikon verfallen, verblöden ... Wenn du dir das als Alternative vor Augen führst, stehst du morgen früh um sechs wieder gerne auf.«
»Dann muss ich aber jetzt dringend ins Bett«, nahm ich ihr Stichwort auf. Während ich die Decke zusammenfaltete, spürte ich den kühlen Wind, der durch meinen Pullover drang. Susanne war ebenfalls aufgestanden. Müde streckte sie ihre Arme nach allen Seiten aus. »Ich habe übrigens einen neuen Stallburschen für dich. Sie wird sich morgen bei dir vorstellen.«
»Sie?«
»Schau nicht so entsetzt, Carla. Ich bin auch eine Frau und habe in den vergangenen vier Monaten keinen schlechten Job bei dir gemacht.«
»Das war eine Ausnahme.« Eine Frau als Stallbursche? Es gab ja noch nicht einmal ein weibliches Wort dafür.
»Und was ist mit dir? Hast du inzwischen vergessen, dass du eine Frau bist?«
»Susanne, du weißt selbst, wie kräftig man bei diesem Job zupacken muss. Mein letzter Stallbursche hat nicht umsonst einen Bandscheibenvorfall bekommen.«
»Hast du einen? Habe ich einen? Na siehst du. Gib ihr eine Chance, sie braucht den Job.«
»In welchem Stall war sie denn bisher?«
»In keinem. Sie hat früher mal in einem Büro gearbeitet, die letzten Jahre jedoch ausgesetzt.«
»Hausfrau?«
»So etwas in der Art«, antwortete sie vage.
»Ich brauche jemanden, der belastbar ist, der mit Enthusiasmus an die Sache herangeht und mit Pferden umgehen kann. Wenn sie unbedingt einen Job braucht, dann soll sie bei Christian als Zimmermädchen anfangen.«
»Bitte ... gib ihr eine Chance, Carla. Mit vierzig gehört sie für viele schon zum alten Eisen. Heide Ahrendt kann hervorragend mit Tieren umgehen. Sie hat nur vor Menschen ein wenig Scheu.«
»Wieso?«
»Frage ich dich, wieso du menschenscheu bist?«
»Ich habe den ganzen Tag mit Menschen zu tun.«
»Wenn sich der Bungehof ohne sie betreiben ließe, würdest du es tun.«
Ganz Unrecht hatte sie damit nicht. Die Pferde waren mir weitaus lieber. »Voraussetzung ist, dass sie mir gefällt.«
»Sie ist eher jemand für den zweiten Blick«, warnte Susanne mich. »Sie wirkt anfangs ein wenig gehemmt.«
»Eine Woche Probezeit gestehe ich ihr zu. Und du kannst dir sicher sein, ich werde ihr genau auf die Finger schauen. Woher kennst du sie überhaupt?«
»Von früher.«
Fünfzehn Minuten später lag ich im Bett und sah durchs Fenster in die sternenklare Nacht. Ich sehnte mir eine Sternschnuppe herbei, um mir, wie ich es als Kind immer getan hatte, etwas zu wünschen. Aber der Himmel sandte mir keine. Dafür übte sein Anblick eine so beruhigende Wirkung auf mich aus, dass ich Minuten später eingeschlafen war.
Als wollte das Schicksal mir eine Lektion erteilen, verschlief ich am nächsten Morgen und wachte erst um halb acht auf. In Windeseile schlüpfte ich in Reithose, T-Shirt und Stiefel, legte mir ein Sweatshirt um die Schultern und griff im Hinausgehen nach einem Müsliriegel.
Um halb neun hatte ich den Termin beim Anwalt, bis dahin mussten die Pferde gefüttert sein. Wenn Basti pünktlich um acht Uhr da war, wie er versprochen hatte, würde er mir helfen können.
Als ich auf den Hof kam, sah ich, dass die Tür des rot geklinkerten Stallgebäudes bereits offen stand. Basti ging mit dem Futterwagen von Box zu Box und verteilte das Frühstück an die Pferde.
»Es ist noch gar nicht acht«, sagte ich überrascht.
»Ich dachte mir, ich hätte wegen gestern noch etwas gutzumachen.«
Ganz kurz streifte mich die Vision eines übereifrigen Pattberg-Enkels, der mir die Arbeit aus der Hand nahm und mich entbehrlich machte. »Dafür hätte es gereicht, pünktlich um acht Uhr hier zu sein.«
Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Dir kann man es nur sehr schwer recht machen, nicht wahr?«
»Entschuldige, ich habe so' früh nur nicht mit dir gerechnet.« Ich folgte ihm durch die Stallgasse. »Wie stellst du dir eigentlich deine beruflichen Perspektiven vor?« Wenn Susanne mit ihrer Vermutung Recht hatte und der Enkel von Hans Pattberg meine Nachfolge antreten wollte, dann ...
»Warum interessiert dich das?«
»Diese Frage stelle ich allen meinen Mitarbeitern.«
»Und was antworten die dann so?«
»Dass sie später selbst einmal einen eigenen Pferdehof haben wollen«, log ich.
»Ich bin lieber unabhängig.«
»Genau das wärst du dann.«
»Schöne Unabhängigkeit. Meine Eltern sind selbstständig, mir brauchst du also nichts zu erzählen. Ich möchte etwas von
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