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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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den Arm gelegt und bloß den Kopf geschüttelt, da der Kopf dieses Zwillings auch dann nicht mehr auftauchte, wenn die Wellen sich zurückzogen. Es fiel ihm schwer, dass er für Leonardo nichts mehr tun konnte, auch wenn dieser Schuft uns ein paar Jahre zuvor diesen Schrott angedreht hatte. Aber es war auch alles andere als einfach, die Kette um Eladios Hals aufzusägen. Die ansteigenden Wellen schlugen immer höher und heftiger gegen den Felsen.«
    »Aber sie schwappten auch wieder zurück.«
    »Natürlich. Sonst hätten wir ihn doch gar nicht mehr retten können. Es war der Wahnsinn! Wenn die Wellen kurz Pause machten, konnte Eladio nach Luft schnappen, aber die meiste Zeit sahen wir seinen Kopf gar nicht. Vater und ich haben uns abgewechselt. Ein Sägeblatt nach dem anderenbrach. Was kein Wunder war bei der nervlichen Anspannung. Wir sägten wirklich wie die Wilden.«
    »Eure Entschlossenheit ehrt euch.«
    »Weder Vater noch ich dachten in dem Moment noch an unseren Traktor. Nur dass jemand ihr Leben in unsere Hände gelegt hatte, sei es nun die Jungfrau Maria, der heilige Petrus – oder der Teufel.«
    Stumm blickt er zu Boden und wirkt dabei so niedergeschlagen, als hätte er die Unglücksnacht eben noch einmal durchlebt. Obwohl … würde er sich als Mörder mir gegenüber anders verhalten? Er hätte gut der Komplize seines Vaters sein können. Ob sie nicht auch versucht waren, nur so zu tun, als wollten sie ihn retten?
    »Kehren wir noch mal an den Anfang zurück. War es eigentlich noch Nacht, als ihr mit Lucio Etxe am Felsen ankamt?«
    »Ob es noch Nacht war?« Zalla runzelt nachdenklich die Stirn. »Ich glaube schon. Jedenfalls herrschte dicker Nebel.«
    »Und haben dein Vater, du oder Etxe sonst noch irgendwen gesehen?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Und gehört?«
    »Gehört? So eine Nebelsuppe verschluckt jegliches Geräusch.«
    »Habt ihr Spuren im feuchten Sand gesehen?«
    »Spuren? Darauf haben wir nicht geachtet.«
    »Eladio habt ihr als Ersten an den Strand getragen.«
    »Ja«, antwortet Tomasón lebhaft.
    »Lucio Etxe stand dort bereit.«
    »Zitternd wie Espenlaub.«
    »Du und dein Vater seid dann wieder zurück auf den Felsen.«
    »Jemand musste es ja tun.«
    »Und was Leonardo anging, hattet ihr euch auch nicht getäuscht.«
    »Ertrunkener kann man gar nicht sein.«
    »An welcher Stelle habt ihr eigentlich die Kette durchgesägt?«
    »Am Hals.«
    »Das heißt also, die Kette blieb mit dem dicken Vorhängeschloss an Apraiz’ Eisenring.«
    »Ja, es war ein einziges Kettenknäuel.«
    »Ihr habt sie also erst durchgesägt, als der Untersuchungsrichter sie sicherstellen ließ.«
    »Nein. Niemand hat uns wegen der verdammten Kette noch mal holen lassen. Irgendwann haben wir allerdings erfahren, dass sie spurlos verschwunden ist.«
    »Ich fasse es nicht!«, rufe ich aus. Die Kette geriet bald danach in Vergessenheit, aber wir alle waren davon ausgegangen, dass sie als Beweismaterial im Gerichtsarchiv lagerte. »Und was ist sonst noch in jener Nacht passiert?«
    »Ich bin hoch in den Ort, den Doktor holen«, sagt Tomasón Zalla. »Ich weiß gar nicht, wozu: Beide lagen sie vor uns im Sand, der eine tot, der andere am Leben. Aber Etxe beharrte darauf.«
    »Und welchen Doktor?«
    »Don Julio Inchauspe.«
    Damit hat er mir wohl alles gesagt, was er weiß. Oder zumindest das, was er mir freiwillig erzählen will. Ich sollte jetzt besser gehen, ich habe die beiden schließlich schon genug von der Arbeit abgehalten.
    »Danke, das hat mir sehr geholfen.«
    »Geholfen wobei?«, will Jacinto Zalla missmutig wissen.
    Ich räuspere mich und sehe Vater und Sohn an.
    »Das habe ich doch schon gesagt: Ich möchte den Mord an Leonardo Altube aufklären.«
    »Arbeitest du für irgendeine Versicherung?«, knurrt Jacinto. »Will Eladio Altube bei jemandem noch was für seinen toten Bruder abkassieren?«
    »Nein, ich möchte nur das nachholen, was die Polizei vor zehn Jahren versäumt hat.«
    »Und dazu brauchst du Krawatte und Hut«, sagt der Sohn und verzieht ironisch den Mund.
     
    Draußen auf der Straße stellt Luciano sich mir in den Weg. Sein schmales Oberlippenbärtchen krönt ein verschwörerisches Grinsen.
    »Ich habe euch beobachtet, wenn auch nichts gehört. Doch das macht das Ganze noch verlockender.«
    »Das ist die Hauptsache.«
    »Ich werde jetzt genau das Gleiche tun wie du: Ich gehe rein und quetsche sie aus.«
    Ich muss mir ein Lächeln verkneifen, denn einen kurzen Augenblick lang stelle ich ihn mir

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