Nur Ein Toter Mehr
vor, wie er an einem Spieß über dem Schmiedefeuer röstet. Dann fällt mir aber noch etwas ein, was ich ihn unbedingt fragen muss.
»Zum Dank könntest du mir einen Gefallen tun. Könntest du mir Zutritt zum Gericht verschaffen? Ich muss einen Blick auf die Kette werfen, die dort seit dem Tod des Zwillings lagert.«
Luciano zieht die Augenbrauen hoch.
»Wozu?«
»Ich will sie einfach mal in der Hand halten.«
Mit süffisanter Miene sieht er mich an. »Die lagern nicht im Gericht, sondern in Ermos Eisenwarenhandlung.«
»In Ermos Eisenwarenhandlung?«, frage ich erstaunt. »Woher weißt du das?«
»Ermo ist neben vielem anderem auch Schrotthändler. Er hat sie von dem Felsen am Strand abgemacht und …«
»Du willst sagen, er hat sie noch am selben Tag durchgesägt, quasi vor den Augen des Richters, um … Ja, wozu?«
»Für Eisenschrott erzielt man einen guten Preis.«
»Das ist echt nicht zu fassen: Was war das 1935 nur für eine lausige Ermittlung!«, rufe ich aufgebracht. »Und woher weißt du, dass er dem Richter ein so wichtiges Beweisstück gestohlen hat?«
»Von Eladio. ›Seit zehn Jahren will ich schon einen Blick in Ermos Schrottlager werfen, aber er lässt mich nicht‹, hat er mir mal erklärt. ›Er häuft Schrott an, bis der Preis für Eisen in die Höhe klettert, und verkauft ihn dann an die meistbietende Gießerei.‹ Aber die Kette hat er noch immer nicht verkauft. Und weißt du, warum?« Ich spitze die Ohren. Luciano lacht auf. »Er hofft darauf, dass sie mit den Jahren Sammlerwert bekommt. Wahrscheinlich denkt er, dass sie irgendwann so viel wert ist wie Kleopatras Ohrringe. Der hat sie echt nicht mehr alle, wenn du mich fragst.«
»Die Kette war also weder Bestandteil der Ermittlungen im Mordfall Altube, noch hat man je gegen den, der sie gestohlen hat, ermittelt … Da ich den Dieb aber jetzt kenne, muss ich ihn wohl in die Liste meiner Verdächtigen aufnehmen – denn natürlich könnte er deshalb gut der Mörder sein.«
»Wie du siehst, kann ich dir leider nicht helfen«, erklärt das Blauhemd grinsend. »Nicht nur, weil ich nicht den Schlüssel zu Ermos Schrottlager habe – sondern weil er auch ein wichtiges Kettenglied in unserem Schwarzhandel ist.«
Auf einmal ändert sich jedoch sein Gesichtsausdruck, und er ist drauf und dran, mich am Revers zu packen.
»Wirst du dieses Gespräch auch mit reinnehmen? Wann und wie wirst du es schreiben?«
Der Wahn hat ihn wirklich gepackt.
»Ich habe es gerade geschrieben«, sage ich und lasse ihndann einfach stehen, und diesmal folgt er mich nicht, auch nicht mit fünfzig Meter Abstand.
Am liebsten würde ich mich auf der Stelle ins Bett legen. Doch meine Mutter bekäme einen Herzanfall, wenn sie mein Veilchen und die Pflaster sähe, und außerdem muss ich zuerst meine Gedanken sortieren.
Als das Ding-Dong des Glöckchens ertönt, dreht sich eine Frau in einem dunkel geblümten Kleid zu mir um, für die Koldobike gerade ein Buch einpackt. Mit einem rätselhaften »Koldobike, du bist echt raffiniert« verabschiedet sie sich, während ich meinen Regenschirm in den Ständer stelle. Kaum ist sie draußen, kommt Espartas Sekretärin hinter ihrem roten Tischchen hervor und widmet sich mir mit ganzer Aufmerksamkeit. Durchdringend sieht sie mich an und führt mich dann resolut hinter die Stellwand, die sie wieder aufgestellt hat.
»Du siehst aus wie das Leiden Christi«, murmelt sie, während sie mich aus Mantel und Anzugsjackett schält und dann behutsam auf meinen Stuhl drückt, wo sie mir den Hut abnimmt, den Krawattenknoten löst und den obersten Hemdknopf aufmacht.
»Bei den Gefahren, die Espartas Beruf mit sich bringt, sollte er eigentlich ein Feldbett im Büro stehen haben …« Nachdenklich kratzt sie sich die Wange und schnalzt dann plötzlich mit den Fingern. »Ich hab’s!«
Sie heißt mich noch einmal aufstehen, dreht flugs den Stuhl um hundertachtzig Grad, drückt mich wieder auf die Sitzfläche und kippt mich dann langsam nach hinten, bis die Lehne auf der Tischkante aufliegt. Ein Bett ist das zwar nicht, aber immerhin eine Neigung von fünfundvierzig Grad, die mein geschundener Körper, wie ich jetzt feststelle, wirklich gut brauchen kann. Eine Brotbüchse mit zweidick mit Käse und Wurst belegten Broten, die sie mir in die Hand drückt, macht mein Glück vollkommen.
»Du bist einfach unbezahlbar, Puppe«, lobe ich sie. »Warum bist du nur so nett zu mir? Ach, was bin ich doch für ein Glückspilz, nur von Frauen
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