Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
Vom Netzwerk:
Verhör fort.
    Warum braucht er so lange für seine Antwort?
    Unvermittelt klappt er seinen Regenschirm zu und schnaubt dann nur ein einziges Wort:
    »Algen.«
    »Algen … sind mir die nicht erst vor Kurzem irgendwo untergekommen?«, überlege ich laut.
    Luciano zeigt nun angriffslustig mit der Regenschirmspitze in meine Richtung.
    »Schluss jetzt mit dem Verhör. Auch wenn es mich nicht stört, schließlich muss ein Privatdetektiv erst mal alle verdächtigen. So wie ich dich. Wir beide sind übrigens in einer ganz ähnlichen Situation. Keiner von uns weiß, ob der andere der Mörder ist, aber wo wir sind, wissen wir: am Strand und vor uns liegt der Felsen, an dem vor zehn Jahren ein Zwillingspaar um sein Leben kämpfte.«
    »Kannst du mir den Felsen zeigen, an dem es passiert ist?«
    Er tut es, wieder unter Zuhilfenahme der Schirmspitze.
    »Natürlich kann ich das, schließlich bin ich aus Getxo. Auch wenn viele von euch mich am liebsten dorthin schicken würden, wo der Pfeffer wächst … Aber das raubt mir nicht den Schlaf. Oder ist es sogar eine Ehre? … Zwei Männer am Strand also. Ja, das wird meine erste Schreibübung. Aber geh nicht zu weit weg.«
    Er geht ein paar Schritte, setzt sich auf einen Stein und zieht dann ein Heft und einen Stift aus der Manteltasche. Das Heft auf den Knien, blickt er gedankenverloren in die Ferne.
    Kopfschüttelnd überlasse ich ihn seinem Schicksal und gehe weiter zu Apraiz’ Felsen, während ich mich wieder darauf konzentriere, warum ich an den Strand gekommen bin. Ich wollte den roten Faden wiederfinden, um meinen Krimi weiterschreiben zu können … Und wenn dieser sich im Schreiben versuchende Falangist der Faden …?
    Wie alt werden eigentlich Möwen? Die über meinem Kopf fliegenden Exemplare könnten mir vielleicht erzählen, was sie in jener Nacht gesehen haben. Obwohl … was sieht man schon mitten in der Nacht? In Kriminalromanen ersehntman sich oft entscheidende Spuren von Hunden, Katzen oder Papageien, doch ist kein Verlass auf sie. Meine Möwen fliegen nicht wie sonst im Gleitflug einen weiten Bogen, sondern kreisen nun geradezu hartnäckig über dem Felsen, so als wollten sie meine Aufmerksamkeit darauf lenken, mir zeigen, dass der Schlüssel zur Lösung des Mordfalls dieser Felsen ist. Aber vielleicht liegt es auch nur am schlechten Wetter, dass sie so tief fliegen.
    Als ich wieder vom Felsen herunterklettere, mache ich einen großen Bogen um den Falangisten, der immer noch mit dem Stift in der Hand auf seinem Stein sitzt. Auf der Höhe der Holzplanke sehe ich jemanden näher kommen. Es ist einer der beiden Etxes, Lucio. Sein alter Mantel ist von der Nässe fast schwarz.
    Wir begrüßen uns mit einem »Hallo, wie geht’s?«, dem die unvermeidlichen Kommentare zum Wetter folgen. Bis ich auf einmal ein lautes »He!« hinter mir höre.
    O Gott, Luciano, was soll ich nur mit dem machen? Mit seinem Heft wedelnd, läuft er auf uns zu.
    Ehe ich mich versehe, hat er mir sein Geschreibsel in die Hand gedrückt.
    »Los, lies das. Auf der Stelle.«
    Während Lucio Etxe uns mit offenem Mund anstarrt, gehe ich ein paar Schritte und schlage das Heft auf. Voller Neugier, warum soll ich es leugnen?
     
    Kein Stern am Himmelszelt Sonnenstrahl erhellt das Treffen der beiden Männer, vielmehr lastet auf ihnen die düstere Vorahnung, dass es demnächst wahrhaft große Tropfen regnen werde. Was will hier einer vom anderen? Beide stammen aus Getxo, aber wie weit voneinander entfernt sind doch ihre Seelen! Der eine, ein Buchhändler,
watet im Sumpf verquaster fruchtloser Ideologien, die der in künftigen Jahrhunderten verherrlichte Krieg zermalmt hat. Dem anderen hingegen sieht man an seiner noblen stattlichen Haltung an, dass er der Truppe dem Heer der Wahrheit angehört. Doch Ersterer scheint zumindest bekehrbar zu sein.
    Sie sind am Strand, weil dort, Jahre ist es her,
ein Mensch zu Tode kam und sie den Schuldigen finden und ihm das Lebenslicht ausblas überführen wollen. Und in solch einer heiklen Lage beginne ich aufs Geratewohl (auch wenn, von außerordentlichen Gefühlen überwältigt, es mir kaum gelingt, dieser eines Helden würdigen Prüfung ins Auge zu sehen). Doch zunächst eine großartige Enthüllung: Ich habe entdeckt, dass ein Leben ohne Poesie möglich ist …
     
    Mehr kann ich nicht entziffern, er hat jede Menge wieder durchgestrichen.
    »Und?«, fragt er kläglich.
    Wie wahrscheinlich jeder Schriftsteller, der von einem Kollegen um ein aufrichtiges Urteil gebeten

Weitere Kostenlose Bücher