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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramiro Pinilla
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wird, empfinde ich Mitleid. Während ich noch überlege, wie ich es Luciano am besten beibringe, werde ich abgelenkt von Lucio Etxes weit aufgerissenen Augen, die den Falangisten noch immer reglos anstarren. Plötzlich packt er mich am Arm, zieht mich ein paar Meter weit fort und flüstert dann:
    »Das ist er. Dieses Gesicht habe ich in jener Nacht gesehen.«

11 Ein komplizierter Plan
    Als Lucio Etxe mit seiner über zwei Meter langen Holzplanke den Strand verlässt, lasten nicht weniger als fünfzig Kilo auf seiner Schulter. Er geht ohne ersichtliche Mühe, setzt fest und federnd seine Schritte in den Sand. Wie schafft das ein so schmächtiger Kerl wie er? Wahrscheinlich ist es die nackte Not, die den Menschen in dieser Nachkriegszeit solche Herkuleskräfte verleiht.
    Nachdem er mir vorhin gestanden hatte, in der Nacht des Verbrechens Luciano gesehen zu haben, fragte ich ihn, ob er sich da ganz sicher sei. Sein Ja kam so überzeugend, dass mich fröstelte.
    »Der hat seine Seele dem Teufel verschrieben, wie wir in den letzten Jahren alle gesehen haben«, wisperte er. »Du solltest ihn dir vom Leib halten.«
    »Und wieso fällt Ihnen jetzt erst auf, dass er es war? In den letzten zehn Jahren müssen Sie sein Gesicht doch irgendwann mal wiedererkannt haben.«
    »Der ist danach doch fortgegangen, um sich mit seinem Pack irgendwo für den Krieg vorzubereiten!«, erwiderte er mit einer überraschenden Heftigkeit. »Und seit seiner Rückkehr hatte ich ihn nie wieder so nah vor mir wie heute. Um so einen mache ich einen weiten Bogen!«
    Nach diesem Wutausbruch wirkte Etxe so erschöpft, dass ich von weiteren Fragen absah, worauf er schweigend seine Holzplanke auf die Schulter packte und sich auf den Heimweg machte, die Straße hoch, die an der Ruine des alten Forts vorbei nach La Galea führt.
    Und auch ich mache mich nun auf den Weg zu meinem nächsten Ziel: der Schmiede der Zallas, die nach Antimos Tod sein Sohn Tomasón übernommen hat. Ihn zu besuchen ist für Sam Esparta ein Muss: Tomasón half seinem Vater damals beim Aufsägen der verfluchten Ketten. Zudem ist er neben Lucio Etxe einer der noch lebenden Protagonisten jener Unglücksnacht, von denen ich am meisten erwarten kann.
    Das Blauhemd folgt mir gemäß unserer Abmachung mit fünfzig Meter Abstand. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würden wir Seite an Seite ermitteln, und abends würde er mir dann seine neu geschriebenen Seiten unter die Nase halten. Von meinem ersten, milde formulierten Urteilsspruch zu seinem Geschreibsel hat er sich nämlich nicht entmutigen lassen.
    »Vielleicht … vielleicht taugt es ja als Entwurf für ein episches Gedicht. Weißt du, so habe ich früher auch mal geschrieben.«
    Der Falangist blickte mich daraufhin beleidigt an.
    »Du hältst dich wohl für was Besseres! Aber wart’s ab«, entgegnete er grimmig. »Bisher habe ich die Wirklichkeit nur gestreift, von nun an werde ich sie bei den Eiern packen! Ich will mit meinem Roman auch die Massen erreichen!«
    »Dann such dir erst einmal einen gescheiten Stoff.«
    Darauf sagte er nichts mehr. Obwohl er seit dem Krieg auf der Seite der Macht stand, sah er auf einmal aus wie ein Häufchen Elend, sodass er mir plötzlich leidtat, zumalmir meine sechzehn gescheiterten Romanversuche wieder in den Sinn kamen.
    »Schreib wenigstens eigenständig über den Fall. Schreiben ist ein einsamer Akt.«
    Dankbar über dieses Zugeständnis meinerseits nickte er.
    »Zu welcher Tageszeit schreibst du eigentlich?«, fragte er dann wie ein gelehriger Schüler. »Bislang habe ich noch keine Seite von deinem Roman gesehen. Schreibst du nachts, und darum sehe ich es nicht? Du hast ja noch nicht mal ein Notizheft dabei. Wie machst du es, verdammt noch mal, wie? … Aber das bekomme ich schon noch raus: Fortan werde ich dich nicht mehr aus den Augen lassen.«
    »Tu, was du nicht lassen kannst«, erwiderte ich nur schulterzuckend.
     
    Die Schmiede der Zallas liegt im Ortsteil Cuatro Caminos. Zwei vor der Tür festgebundene Ackergäule deuten darauf hin, dass ich hier richtig bin; Hammerschläge aus dem Inneren vervollkommnen die Szenerie. In der dunklen, lang gezogenen Werkstatt leuchtet ganz hinten das Schmiedefeuer. Der kräftige Mann, der auf dem Amboss ein rot glühendes Hufeisen bearbeitet, ist Tomasón.
    »Verfolgt dich der da draußen?«, höre ich auf einmal eine Stimme hinter mir.
    Als ich mich umdrehe, steht Tomasóns Sohn vor mir, Jacinto, ein stämmiger Bursche, noch keine zwanzig, in der Hand

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