Nur Mut, liebe Ruth
Zimmer der Verdächtigen führte eine Hintertreppe
hinunter. Zudem war auch dem Stubenmädchen das Benehmen der jungen Frau
sonderbar vorgekommen, und ebenso paßte die überstürzte Abreise ins Bild, da
habe ich mich denn gleich auf den Weg gemacht.“
„Sie müssen aber furchtbar
schnell gefahren sein!“
Der Kriminalinspektor lächelte.
„Das sind wir. Aber nicht so, wie du denkst. Wir sind nämlich mit einem
Hubschrauber gekommen. Hättest du Angst, mit uns zurückzufliegen?“
„Angst?“ fragte Ruth. „Was ist
das?“
Mit einem Funkstreifenauto,
richtig mit Blaulicht und Sirene, fuhren sie zu einem kleinen
Hubschrauberflugplatz beim Unfallkrankenhaus hinaus.
Unterwegs sagte der
Kriminalinspektor: „Übrigens, du weißt doch, auf die Ergreifung der Trickdiebin
ist eine Belohnung von tausend Mark ausgesetzt worden. Wirst du dir die mit
deinen Freundinnen teilen? Oder was hast du sonst mit dem Geld vor?“ Ruth
dachte nach. 1000 Mark, das war viel Geld, es gab eine Menge heimlicher
Wünsche, die sie sich damit hätte erfüllen können, zum Beispiel das Fahrrad,
das ihre Eltern ihr nicht schenken wollten, weil sie zuviel Angst um sie
hatten, ein Kofferradio..., ein Pingpongtisch..., ein Plattenspieler.
Aber mit einem kurzen Schütteln
ihres blonden Kopfes verscheuchte Ruth alle diese unerfüllbaren Wünsche.
„Zuerst“, sagte sie, „werde ich Katrins Großmutter das Geld zurückgeben, das
ihr gestohlen worden ist, und was dann noch übrig bleibt, sollen die anderen
alten Leute bekommen, die die Perückendame beklaut hat. Ich bin sicher, daß
meine Freundinnen genauso denken werden wie ich. Sie finden das doch auch
richtig, nicht wahr, Herr Kriminalinspektor? Und Sie werden mir dabei helfen,
es gerecht zu verteilen?“
„Du bist wirklich ein tolles
Mädchen“, sagte Kriminalinspektor Maurer, „alle Achtung, Hut ab! Sag mal, hast
du nicht vielleicht doch Lust, später, wenn du mit der Schule fertig bist, zu
unserer Kriminalpolizei zu kommen?“
Ruth lachte. „Lieber nicht“,
sagte sie, „ich werde doch wohl Friseuse werden, wie meine Eltern es wünschen.
Aber wenn sich mal eine verdächtige Person in unser Geschäft verirrt, dann
werde ich Sie gleich benachrichtigen, Herr Kriminalinspektor, das verspreche
ich Ihnen!“
Das Auto hielt, sie stiegen
einer nach dem anderen aus — die Perückendame war schon mit Handschellen
gefesselt — und in den Hubschrauber über.
Die Rotoren sausten um und um
und machten einen ohrenbetäubenden Lärm.
Aber als sich der Hubschrauber
dann in die Lüfte emporhob, war es ein wunderbares schwereloses Gefühl.
Ruth blickte durch die gläserne
Kuppel nach unten und sah die Stadt und das Krankenhaus, die Straßen und die
Eisenbahnlinie kleiner und kleiner werden. Es ging wieder der Heimat entgegen.
Sie wußte, sie würde sich
bestimmt noch häufig fürchten, aber nie mehr grundlos ängstlich sein, und
sollte ihr das doch noch einmal passieren, so brauchte sie nur daran
zurückzudenken, wie sie den Fall mit der Perückendame gelöst hatte, und sofort
würde ihr Selbstvertrauen wieder erwachen.
Ruth fühlte sich so großartig
wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
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