Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Bovenschen
Vom Netzwerk:
versetzt worden, die sich seine Mutter so gerne auf den Schirm ihres Fernsehers holte.
    Allerdings: Dörtes Gesicht, ihre Brüste und Beine waren aggressiv gegenwärtig.
    Dörte hatte ihn grußlos an langem Arm in die Wohnung gezogen, ja beinahe gezerrt durch eine geräumige Diele und hinein in einen großen Raum, dessen Wände mit Büchern bedeckt waren. Nur über dem unbelebten Kamin, vor dem sie jetzt saßen, hatte man dem Ölbild des Ahnen einen Platz gegönnt.
    Flocke sah verlegen aus dem Fenster, um dem strengen Blick des Herrn aus lange vergangener Zeit zu entgehen und auch der Versuchung, Dörte allzu gierig anzustarren.
    Diese Blickrichtung konnte er plausibel machen, weil dort auf dem träge dahingleitenden Fluss gerade ein harmlos bewimpeltes Ausflugsboot vorbeifuhr. An Deck hopste und grölte eine ruppige Schar. Eine junge Frau hing über der Reling und übergab sich in den Fluss.

Bibliothek (gleich darauf)
    Offensichtlich hatte auch Johanna die Ausflugsgrölerei wahrgenommen.
    »Unerhört.«
    Flocke schreckte auf. »Hilfe. Wer schlägt da ständig Alarm?«
    Dörte machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Das is die olle Johanna, die röhrt da immer wie ne Furie rum. Ich hör das schon gar nich mehr. Is aber harmlos, mächtig angeschlagen die Alte, ich glaub, die modert nur noch vor sich hin. Ich weiß nich mal, wie die aussieht. Die Woche, die ich hier bin, is se nie aus ihrer Klause rausgekrabbelt. Vergiss es.«
    Sie ließ sich auf ein zierliches Kanapee fallen, das unter dem schwunghaften Aufprall unwillig knarrte.
    »Supernett, dass du vorbeigekommen bist.«
    »Wo bin ich hier eigentlich?«
    »Bei meiner Großmutter Charlotte.«
    »Und deine Eltern?«
    »Die Erzeugerfraktion will vorerst nix mehr von mir. Ham mich rausgeschmissen und hier abgeladen bei der Oma im Museum.«
    »Gab’s Stress?«
    »Kannste so sagen. Ich war kurz mal out of space. Kam ziemlich dick in der letzten Zeit, also, dass die mich geschnappt ham in dem Media-Store, wo ich den scheiß MP3-Player eingetütet hab. Auf den ich nich mal scharf war. War mehr son Sport. Also erst der Auftritt der Bullen, dann die Sache mit dem Schnee und der Schulverweis und dass se Freddie eingeknastet ham, na ja, hat sich alles irgendwie geballt, da sind die ausgerastet, aber voll, ham endlos rumgezofft, mit mir wärn se fertig, se hätten jetzt auch keine Idee mehr, so ne Kriminelle wie mich, das bräuchtn se ja gar nich, ham mir ne Asi-Zukunft ausgemalt – und na ja, jetzt bin ich eben hier, in der madigen Geronten-WG bei meiner Großmutter und ihren gruftigen Freundinnen, den drei Alten, die se in ihre feudale Bude gelockt hat. Die ham sich hier zusammengerottet, weil denen die Männer abhandengekommen sind …
    Hab ich eben ›abhanden‹ gesagt?«
    »Ja, hast du.«
    »Siehste, färbt schon ab, das gruftige Biotop hier. Da muss ich echt aufpassen, ich werd hier auch sicher nich schimmeln, aber erst mal …«
    »Und wie ist es hier so?«
    »Lalilu.«
    »Ne, sag doch mal richtig.«
    »Öde, nee, crank isses.«
    »Wieso crank?«
    »Na, da kommste nich drauf, was hier so abgeht. Aktuell, zum Beispiel, sind se scharf drauf, hundert Gründe zu finden, warum es gut is, möglichst bald abzukratzen.«
    »Ich find’s witzig.«
    »Du musst hier ja auch nicht sein.«

Johannas Zimmer im 1. Stock (währenddessen)
    Charlotte betrat, nachdem ihr Klopfen ungehört geblieben war, leise das Zimmer von Johanna, die hochgebockt, mit drei prallen Kissen im Rücken und angezogenen Knien auf ihrem Bett mehr saß als lag. Sie hatte Kopfhörer auf den Ohren, ein MacBook Air auf dem Schoß und tippte hektisch in dessen Tastatur, wobei sie kleine Schnauflaute ausstieß, die das Geschriebene orchestrierten und Erregungsgrade anzeigten.
    Charlotte beugte sich zu ihr hinunter, berührte sanft ihre Schulter und sagte sehr laut:
    »Hörst du mich? Kannst du mich hören?«
    Johanna nahm den Kopfhörer herunter.
    »Ja, ich kann dich hören. Brüll hier nicht so rum.«
    »Das musst du gerade sagen. Was tust du da. Schreibst du an deinem Roman?«
    »Nein, ich blogge, das ist …«
    »Ich weiß, was das ist. Warum tust du das?«
    »Damit ich bin. Damit ich war. Damit ich sein werde. Ich bin nur, wenn man mich wahrnehmen kann, und angemessen wahrnehmen kann man mich nur, wenn ich in meiner Selbstbeschreibung wahrgenommen werde, dann kann ich mich selbst auch wieder wahrnehmen. Verstehst du das?«
    »Nein.«
    »Dort, im Netz, werde ich noch sein, wenn ich hier nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher