Nur wenn du mich hältst (German Edition)
beizubringen. Sie beide bauten im Garten einen Schneemann. Es war vollkommen unüblich für ihn, sich freiwillig in die Kälte hinauszubegeben, aber er tat es für AJ. Nach dem Snowboardausflug hatte der Junge einen unersättlichen Appetit auf Abenteuer entwickelt, vor allem solche, die draußen im Schnee und bei Minusgraden stattfanden.
Bo erklärte ihm die neueste Entwicklung, während sie einen findlingsgroßen Schneeball über den Rasen rollten. „Es tut mir so leid, Kumpel.“
„Wie kann es sein, dass sie abgeschoben wurde, sich aber trotzdem in Haft befindet?“ AJ rammte seine Schulter gegen die immer größer werdende Schneekugel wie ein Footballspieler in einen Übungsdummy.
„Nur so lange, bis man ihre Geburtsurkunde und die ihrer Eltern gefunden hat.“ Es war wesentlich komplizierter, doch er wollte AJ nicht mit zu vielen Informationen überfordern.
„Kann ich sie anrufen? Ich will mit ihr reden.“
„In der Haftanstalt gibt es nur wenige öffentliche Telefone. Man muss eine Telefonkarte besitzen. Das Problem ist, die Karten können nur in einem Laden gekauft werden.“
AJs Miene versteinerte sich. „Und sie lassen sie nicht hin, weil sie eine Gefangene ist.“
„Das ist echt Mist, ich weiß. Der Anwalt in Texas tut alles, was er kann, um die Abschiebung rückgängig zu machen.“ Laut einem Bericht von Sophies Partner warteten die Frauen tagelang auf ein freies Telefon. Es gab während der Anrufe keine Privatsphäre, und sie mussten schreien, um überhaupt gehört zu werden. Bo wollte seinem Sohn das nicht erzählen, weil er wusste, dass ihn das nur noch trauriger machen würde.
Die Schneekugel war beinahe zu groß zum Rollen. Sie stellten sich neben ihr auf, schoben ihre Hände darunter und gaben ihr einen letzten Schubs. „Aber es gibt auch eine gute Seite“, sagte er. „Das Zentrum in Agualcaliente in Mexiko hat eine maximale Aufenthaltsdauer für Häftlinge festgelegt, das soll die Suche nach den Papieren beschleunigen. Weißt du, was das bedeutet?“
„Ich weiß, was das alles bedeutet.“ AJ ließ sich auf die Knie fallen und fing an, einen zweiten Schneeball zu rollen.
„Klar, Kumpel.“ Bo half ihm. Während er Seite an Seite mit AJ arbeitete, vergaß er ganz, dass ihm kalt war. Er vergaß, dass er den Winter hasste, vergaß alles und beobachtete nur seinen Jungen. Nun ja, beinahe alles. Die Tatsache, dass Kim am Kamin saß und ihnen zuschaute, konnte er nicht vergessen.
Sie war der einzige Lichtstrahl in all dem hier. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit waren sie dabei, sich ineinander zu verlieben. Er hatte keine Lust mehr, seine Gefühle für sie zurückzuhalten, sondern war jetzt ganz offiziell verrückt nach ihr. Er wollte nichts lieber, als jede Minute mit ihr zu verbringen, aber sie wussten beide, dass AJ an erster Stelle stand.
„Bereit?“, fragte er.
„Jupp.“
Mit vereinten Kräften hievten sie die mittlere Kugel an ihren Platz. „Du bist ganz schön stark“, sagte Bo.
„Für meine Größe“, erwiderte AJ.
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Aber gemeint.“
„Ich meinte genau das, was ich gesagt habe. Du bist stark. Und das ist gut.“ Er fügte den bowlingkugelgroßen Kopf des Schneemanns hinzu.
AJ schwieg, doch es kam Bo so vor, als stünde er ein wenig gerader. Das war gut. Nach den Neuigkeiten über Yolanda war es wichtiger denn je, seinem Sohn zu helfen, Selbstvertrauen zu entwickeln und ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.
„Er braucht Arme“, sagte AJ.
„Was meinst du?“
„Der Schneemann braucht Arme.“
„Ich finde, er sieht auch ohne Arme gut aus.“
„Das sagst du nur, weil du rein ins Warme willst.“
„Ja, was das angeht, bin ich ein wenig seltsam. Ich habe es gerne warm.“
AJ schüttelte den Kopf. „Arme.“
Bo stieß fröstelnd einen Seufzer aus und stapfte auf der Suche nach niedrig hängenden Ästen durch den Garten. Er fand welche und steckte sie seitlich an den Schneemann.
„Fertig“, sagte er und trat zurück, um ihr Tagewerk zu betrachten.
„Noch nicht ganz.“ AJ setzte dem Mann aus Schnee eine Hornets-Kappe auf und drückte einen Schneeball in die Astfinger seiner linken Hand. „So. Jetzt sieht er doch nach was aus.“
Genau wie sein Sohn. Er sah gleichzeitig tapfer und traurig aus, und seine Entschlossenheit, den Kopf hochzuhalten, brach Bo das Herz. Woher hatte der Junge nur all diese Kraft? „Give me five“, sagte er.
Sie klatschten ab.
„Können wir jetzt reingehen?“, fragte
Weitere Kostenlose Bücher