Nur Wenn Du Mich Liebst
Annahme, dass niemand ihn verdächtigen oder erwischen würde, obwohl er Tracey als Augenzeugin zurückgelassen hatte, die ihn identifizieren konnte?
Das ergab keinen Sinn.
Es musste natürlich nicht unbedingt einen Sinn ergeben, erinnerte Vicki sich. Sie hatte genug Strafprozesse mitgemacht, um zu wissen, dass ein Mord selten sinnvoll war, dass die Menschen für jede noch so abscheuliche Tat ihre eigenen komplizierten Rechtfertigungsmechanismen hatten. Niemand sah sich selbst als den Bösen. Es gab immer eine Logik, egal, wie verworren und wahnsinnig. Und Mörder gingen wie alle anderen Gesetzesbrecher auch immer davon aus, dass sie unverwundbar waren und ungeachtet aller Spuren, die sie hinterließen, nie im Leben gefasst werden würden.
Deshalb musste es keinen Sinn ergeben, dass Tony Barbara und nicht Chris getötet hatte. Entscheidend war, dass er eine mörderische Wut gehabt hatte und Barbara zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.
Nur dass sie bei sich zu Hause gewesen war. In ihrem eigenen Bett.
»Es gibt keine Spuren für ein gewaltsames Eindringen«, sagte Vicki auf der Heimfahrt zu Jeremy, während sie ihre Augen mit den Händen gegen das Licht der aufgehenden Sonne abschirmte. Rosa Streifenwolken waren wie lange Zuckerwattefäden am strahlend blauen Himmel aufgezogen. Roter Himmel am Abend, zitierte Vicki stumm eine Kalenderweisheit aus ihrer Kindheit und hörte, wie ihre Mutter die Worte mitsprach. Erquickend und labend. Roter Himmel am Morgen bringt Kummer und Sorgen. Barbara hätte diesen Himmel geliebt, dachte Vicki, weigerte sich jedoch, den drohenden Tränen nachzugeben, während sie beobachtete, wie ihr Mann sich die Augen rieb. »Hast du geweint?«, fragte Vicki, ohne ihre Überraschung zu verbergen.
»Du nicht?«, fragte er ebenso erstaunt zurück.
Vicki weinte selten, und wenn, dann nur aus Wut, wie sie sich einredete. Seit dem Morgen, an dem sie begriffen hatte, dass ihre Mutter sie verlassen hatte und nie zurückkommen würde, hatte sie ihre Lektion gelernt. An jenem Tag hatte sie genug Tränen für ein ganzes Leben vergossen, und was hatte es ihr gebracht? Absolut nichts. Ihr Schluchzen war auf die sprichwörtlich tauben Ohren gestoßen, und ihre Mutter hatte es bestimmt nicht gehört. Und hatte sich Vicki nach den aus tiefem Herzen vergossenen Tränen irgendwie besser gefühlt? Nein. Eher noch schlechter. Tränen raubten einem nur Kraft, trübten den klaren Blick, und von Trauer gelähmt, im freien Fall in bodenlosen Kummer stürzend, bekam man keinen Fuß vor den anderen und sein Leben nicht in den Griff. In Vickis Leben war kein Platz für endloses Herumstochern in der Vergangenheit, kein Suhlen in dem, was vorbei und geschehen war und sich eh nicht mehr ändern ließ, kein Platz für Tränen. Nicht mehr.
»Was soll das heißen, es gibt keine Spuren für ein gewaltsames Eindringen?«, fragte Jeremy, als hätte er sie jetzt erst gehört.
»Ich habe nachgesehen.« Vicki fischte die Sonnenbrille aus ihrer Manteltasche und setzte sie auf. »Keine eingeschlagenen Scheiben. Die Haustür war nicht aufgebrochen, und die Hintertür war abgeschlossen.«
»Vielleicht hat Barbara Tony hereingelassen.«
»Sie hätte ihn nie ins Haus gelassen.«
»Vielleicht hat er sie überlistet.«
»Barbara hätte ihn nie ins Haus gelassen«, wiederholte Vicki nachdrücklich.
»Und was willst du damit sagen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Glaubst du, es war Howard oder Ron? Sie könnten beide einen Schlüssel haben.«
»Auf der Treppe war kein Blut.«
»Was?«
»Wer auch immer Barbara ermordet hat, muss voller Blut gewesen sein. Aber es gab keine blutigen Fußabdrücke, kein Blut auf der Treppe, nirgendwo Blut außer im Schlafzimmer. Und an Tracey«, fügte sie hinzu und spürte, wie ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief.
»Tracey? Nun, natürlich war sie voller Blut. Du hast doch gehört, was Susan gesagt hat. Tracey saß neben ihrer Mutter und hielt ihre Hand. Natürlich war sie voller Blut. Worauf willst du hinaus?«
»Ich weiß es nicht.«
»Glaubst du, dass Tracey irgendwen schützt?«
»Ich weiß nicht.«
»Glaubst du, Tracey weiß mehr, als sie sagt?«
»Ich weiß es nicht.« Wie oft konnte sie dasselbe sagen? »Ich weiß es nicht«, wiederholte sie erst einmal und, als ihr nichts anderes einfiel, ein zweites Mal. »Ich weiß es nicht.«
»Hast du der Polizei gegenüber irgendwas davon erzählt?«
»Warum sollte ich deren Job machen?«
Jeremy bog in die Einfahrt zu
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