Nuramon
vom Garten herführte, nährten Nuramons Vorfreude auf die Familie. Er fragte sich, wen er zuerst in die Arme schließen würde, und schon kam jemand um die Biegung: ein kleiner Junge, der stehen blieb, vielleicht nur, weil auch Nuramon und Daoramu anhielten.
Nuramon wusste sofort, dass es sein Enkel war. Die Rehaugen, das dunkelbraune Haar und die spitze Nase erinnerten ihn an seine letzte Mutter. Wäre sie als Junge zur Welt gekommen, nicht ganz so blass, wie er sie in Erinnerung hatte, und mit Menschenohren, sie hätte gewiss so ausgesehen wie der langhaarige Knabe, der dort stand und sie anstarrte.
Nerimee kam hinzu und hielt ebenso inne, wie der Junge es getan hatte. Der Kleine schaute zu ihr zurück, dann wieder ihnen entgegen und lief los. »Großmutter! Großvater!«, rief er.
Nuramon konnte sich nicht erinnern, je lange genug in einer Inkarnation überlebt zu haben, um seine Enkel kennenzulernen. Er kannte seine Enkel nur durch die Erinnerung späterer Inkarnationen.
Daoramu bedeckte den Mund ruckartig mit der Handfläche, drückte den Jungen schließlich an sich und küsste ihn. »Woher wusstest du, dass ich deine Großmutter bin?«, fragte sie.
»Ich kenne dich von den Gemälden«, sagte er, dann lächelte er Nuramon an. »Und dich auch, Großvater.« Er grinste, schaute an Daoramu vorüber und stutzte. »Die kenne ich aber nicht.«
»Das sind Bjoremul und Nylma«, erklärte Daoramu.
»Die sehen aber anders aus«, sagte der Junge.
Bjoremul lachte, und Nylma grinste.
»Du hast sie sicher auch auf den Gemälden gesehen«, sagte Daoramu. »Sie sind nur älter geworden.«
»Großvater?«, sagte der Junge.
Nuramon strich ihm durch Haar. »Ja?«
»Kannst du Onkel Yendred helfen? Damit Lyasani nicht mehr so traurig ist.«
Nuramon musste schmunzeln. Der Junge war tatsächlich Nerimees Sohn. Er fragte sich, ob der Knabe aus der Liebe Nerimees zu Bargorl erwachsen war. »Natürlich werde ich Yendred helfen«, antwortete er seinem Enkel. »Aber sag du mir etwas: Wie heißt du?«
»Weißt du das denn nicht?«, fragte der Kleine und brachte Daoramu zum Lachen. Sie küsste ihn und sagte: »Du bist unsere Überraschung.«
»Er heißt Gaerigar«, sagte Nerimee und trat an der Seite Borugars und Jaswyras näher.
Nuramon tauschte einen Blick mit Daoramu. Unter Albenkindern hätte es keiner weiteren Erklärung bedurft. Wäre der Junge ein Elf gewesen, dann hätte er diesen Namen erhalten, weil er die Seele Gaerigars in sich trug.
Nerimee fiel erst Daoramu und dann ihm in die Arme. »Wir waren verzweifelt«, sprach sie ihm ins Ohr. »Ceren machte uns Mut, aber wir hatten das Schlimmste befürchtet.« Sie löste sich von ihm. »Aber nun«, sagte sie und schaute an ihm hinab und wieder herauf.
Jaswyra und Borugar begrüßten ihn und die Gefährten herzlich. Sie waren älter geworden, und die Stimme des Königs war heiser, aber seine Gesten so zielsicher wie eh und je. Während seine Schwiegereltern Daoramu an sich drückten, kehrten Nuramons Gedanken zu Gaerigar zurück. Und als Borugar und Jaswyra sich an Bjoremul und Nylma wandten und Daoramu den Jungen mit Fragen bestürmte, nahm Nuramon Nerimee zur Seite.
»Bedeutet es das, was ich glaube?«, fragte er.
Nerimee lächelte. »Ceren erkannte die Seele Gaerigars an ihm. Mein Bruder ist nun mein Sohn.« Damit zerschlug sich eine von Nuramons alten Ängsten, die ihn lange nicht mehr geplagt hatte: die Angst vor dem Tod. Damals, ehe Ceren das Wagnis eingegangen war, ihren weißen Stein zu opfern, hatte sie gesagt, dass die Möglichkeit bestehe, dass er im Falle seines Todes als Nerimees Sohn wiedergeboren würde. Seither hatte er den Tod wieder mit anderen Augen gesehen. Nun aber zu erfahren, dass sein Sohn ein Wiedergeborener war, überwältigte ihn so sehr, dass er Nerimee nochmals in die Arme schloss.
»Lyasani!«, rief Bjoremul, und da sah Nuramon die Tochter des Wyrenar, wie sie an der Seite zweier Dienerinnen die Treppe herab kam. Die eine war Gaeria, die alte Dienstbotin, die schon seit Langem e in Teil der Familie war; die jüngere Frau an ihrer Seite kannte Nuramon nicht. Sie hielt jedoch einen Säugling im Arm.
Gaeria führte Lyasani die Treppe herab und stützte sie. Da sah er es: Aus dem geöffneten Mantel wölbte sich ein Bauch hervor, mit dickem Stoff bedeckt, aber nicht verborgen. Sie erwartete ein Kind.
Bjoremul war außer sich, lief ihr entgegen und erdrückte sie beinahe mit seinem Überschwang. Gaeria jedoch wies ihn zurück und mahnte
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