Nybbas Nächte
erkannte nicht, was er ahnte, doch als sie aufstehen wollte, um zu öffnen, winkte er ab. Er stellte sein Weinglas mit zu viel Schwung auf den gekachelten Tisch und ging zur Tür. Sie folgte ihm, teils neugierig, teils besorgt. Abendlicher Besuch war selten, um nicht zu sagen, noch nie vorgekommen. Kunden und Geschäftspartner ihres Oldtimerhandels riefen an. Die paar Angestellten hatten keine Gründe, unangemeldet zu erscheinen. Nachbarn gab es nicht. Außerdem zeigte die Uhr schon Viertel nach elf.
Joana atmete tief durch, roch Mandarinen, Bienenwachskerzen und Nicholas’ Körper. Es sollte niemand an der Tür stehen. Wer immer es war, er gehörte hier nicht her.
Sie folgte Nicholas, blieb jedoch einen guten Meter hinter ihm und sah über seine Schulter, während er die Tür öffnete. Sogleich fand sie sich im Blick eines Mannes wieder, den sie nie gesehen hatte und dennoch sofort erkannte.
Erleichterung erfüllte sie. „Elias!“ Die Augen, traurig und zugleich spöttisch verengt, verrieten ihn. Solche Augen hatte nur Elias.
Nicholas griff nach ihrem Arm und hielt sie zurück, als sie sich an ihm vorbeidrücken wollte. „Nun, jetzt wohl nicht mehr, oder?“ Er sah den jungen Mann in der Tür misstrauisch an.
Dieser erwiderte Joanas Lächeln. Seines schien unglücklich wie eh und je. „Elias ist schon okay. Ehrlich, ich mag den Namen, belassen wir es dabei.“
„Komm rein“, wies Nicholas an.
Erst jetzt schlug er dem anderen freundschaftlich auf die Schulter und entspannte sich. Joana atmete so laut auf, dass es den Männern sicher auffiel, aber sie ließen sich nichts anmerken und traten gemeinsam in den offenen Wohnbereich.
Elias’ Geschmack war erlesen. Dieser Körper war nur wenig älter als der des Jungen, den Joana zu kennen geglaubt hatte, allenfalls Mitte zwanzig. Rehbraunes Haar, im Kerzenlicht von rötlichen Strähnen durchzogen, stand ihm stachelig vom Kopf ab. Die großen, braunen Augen erinnerten ebenfalls an ein scheues Tier, und seine undurchschaubare Mimik war altbekannt. Die eisige Maske des Racheengels schien durch seine Haut zu schimmern.
„Hübsch.“
Elias sah sich um. Er ließ seinen Blick die hohen Natursteinmauern emporgleiten, folgte den Ebenholzbalken an der Decke und zog mit den Fingern im Vorbeigehen eine Linie auf dem Kaminsims.
„Staubig“, verbesserte Joana und beide bemühten sich zu lachen.
Nicholas blieb befangen. Ohne Elias aus den Augen zu lassen, setzte er sich auf die Couch. Er traute ihm nicht. In gewisser Weise schien er ihn zu fürchten, obwohl die beiden eine innige Zuneigung verband. Sie würden füreinander sterben – und doch war nicht auszuschließen, dass sie sich gegenseitig irgendwann umbrachten. Joana hatte die Ambivalenz in Nicholas’ Gefühlen nie verstanden. Den dämonischen Gesetzen zufolge war Elias sein Eigentum, in Wahrheit jedoch besaß dieser Macht über Nicholas. Etwas, das sie nicht durchschaute und er ihr nicht zu erklären bereit war.
Sie schüttelte die Gedanken ab, ehe sie sich selbstständig machten, und nahm ein weiteres Weinglas aus der Vitrine. Von den bauchigen Rauchkristallkelchen besaßen sie nur noch die beiden, die bereits auf dem Tisch standen. Es waren sechs gewesen, als sie das komplett ausgestattete Haus angemietet hatten. Zwei der teuren Gläser waren ihrer Schusseligkeit zum Opfer gefallen, zwei weitere Nicholas’ Wutanfällen. Ausgeglichen, sollte man meinen. Zumindest, solange man den Inhalt der Küchenschränke außen vor ließ.
Sie kam nicht umhin, Elias ein Weißweinglas mit Dao Noble zu füllen. Jeder portugiesische Weinbauer hätte sie für diesen Frevel augenblicklich des Landes verwiesen. Selbst Nicholas hatte den Anstand, bei dem Anblick den Kopf zu senken und ein schuldbewusstes Lächeln aufzusetzen. Er griff über den Tisch nach ihrer Hand, zog sie um das Möbel zu sich auf den Schoß. Seine Nase teilte ihr Haar und sie spürte einen Kuss im Nacken. Eine liebevolle Geste und zugleich ein deutliches Zeichen an Elias. Nichts ging über dämonische Besitzansprüche. Die Verhältnisse sollten in all ihrer Deutlichkeit demonstriert werden.
Elias schien es egal, er kippte den Rotwein stehend in einem Zug runter und ließ sich in einen der Leder-sesselfallen.
„Hattest du einen guten Flug?“, begann Nicholas, Konversation vorzugaukeln.
Joana unterdrückte es, die Augen zu verdrehen. Als würde ihn das interessieren. Er hatte ganz andere Fragen.
„Ich bin mit dem Wagen hier. Hab vorne an der Straße
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