Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
willst?“
Er sah sich kurz um, doch niemand der Anwesenden schien ihr Gespräch zu belauschen. „Die Seele muss schwach sein“, erklärte er, so gut es sich erklären ließ. „Manche Menschen sind körperlich stark, nur wenige seelisch. Du zum Beispiel. Bei den Starken ist es nicht so einfach.“
„Aber möglich? Wäre es bei mir möglich?“
„Bei starken Menschen funktioniert es nur, wenn man ihnen den Lebenswillen nimmt.“ Verdammt, das wollte sie wirklich nicht wissen. Ihr Gesichtsausdruck sprach leider eine andere Sprache. „Es funktioniert bei jedem Menschen, wenn du ihn dazu bringst, sich aufzugeben. Wenn du ihn an den Punkt bringst, an dem er sterben will. Nur letale Verletzungen sollte man unterlassen, denn dann nützt der Körper uns nichts mehr. Er muss lebensfähig sein.“
Sie legte die Gabel beiseite und klemmte sich die widerspenstige Locke hinters Ohr. Er hätte sie am liebsten wieder vor ihr Gesicht gelegt. „Warum haltet ihr euch nicht an Menschen mit Todessehnsucht? Wäre doch … praktisch.“
„Eine innovative Idee.“ Die pragmatische Art, mit der sie es hinnahm, bewunderte er. Ob er ihr sagen sollte, dass er diesen Vorschlag bereits einige Male umgesetzt hatte? Nein, besser keine Empathie vorgaukeln, die nicht existierte. Er klaute sich die dekorativ geschnittene Tomate von ihrem Tellerrand und sprachmit vollem Mund weiter. „Weißt du, wer sich umbringen will, sieht selten gut genug aus, als dass man seinen Körper haben will. Die meisten Selbstmordkandidaten haben zu gute Gründe für ihr Vorhaben.“
Sie erwiderte sein Grinsen nicht, schüttelte sich leicht und verschränkte die Arme auf dem Tisch. „Du kannst also jederzeit den Körper wechseln. Dann bist du unsterblich?“
„Nichts was lebt, ist unsterblich. In meinem Dämonenleib kann man mich theoretisch töten … auch wenn sich das als schwierig erweisen dürfte. Im Schlaf oder in einer Ohnmacht kann man mich töten, weil ich den Körper nicht rechtzeitig verlassen kann. Und dann gibt es noch den Bann, mit dem wir ausgeschaltet werden können.“
„Eine Art Koma?“
„Wachkoma. Körperlose Lähmung. Bei vollem Bewusstsein. Zumindest so lange, bis man den Verstand verliert.“
Ihr nächster Atemzug war laut. „Ist dir das je passiert?“
Er nickte knapp, nur die Andeutung einer Bewegung.
Sie verstand, dass er darüber nicht reden würde und wechselte das Thema. „Wie alt bist du?“
„Auslieferungsjahr 1734.“
Ihre Augen wurden rund. „Ist nicht wahr! Du wirkst nicht wie …“ Sie formte die Zahl lautlos mit den Lippen, schüttelte den Kopf und die Haarsträhne fand zurück an ihren Platz auf ihrer Wange. „Nein, kannst du ja auch nicht. Vergiss es. Aber du sprichst nicht als kämst du aus einer anderen Zeit.“
„Hm. Vielleicht kann ich es ja noch?“ Er legte die Fingerspitzen aneinander und sah sinnierend in die Luft.
„Dem Wunsch der Dame gern entsprechend, geb ich meine Lippen hin, dem Jargon vergang’ner Tage, denen ich entsprungen bin. Doch deucht mich, diesem werten Weibe, läg womöglich mehr daran, wenn ich ihr auf eig’ne Weise, zeig, ob ich modern sein kann.“
Sie lachte. „War das spontan? Gar nicht mal so schlecht.“
Er ballte eine Faust und grinste. „Strike!“
Bevor sie weiterfuhren rauchte er auf dem Parkplatz eine Zigarette, was sie missmutig stimmte. Verwunderlich, dass sein kleines menschliches Laster sie mehr zu stören schien, als die Tatsache, was er war. Er grübelte die nächsten Kilometer darüber, während sie permanent zwischen den Radiosendern hin und herwechselte und über das Programm herzog. Schließlich griff er zu ihr herüber und öffnete das Handschuhfach, aus dem ein Sammelsurium aus CDs herausrutschte, die klappernd in den Fußraum purzelten. Sie lächelte entzückt, wühlte in dem Durcheinander herum und fischte eine hüllenlose CD heraus.
„Incubus?“
Er versuchte sich an einem Haifischgrinsen und war erleichtert, weil sie nicht gesehen hatte, was unter ihrem Sitz lag. Eine hochmoderne Schusswaffe und ein antiker Dolch.
„Warum nicht? Passt doch, oder? Nirvana, Black Sabbath und Iron Maiden liegen etwas weiter unten, falls du es lieber lauter magst.“
Sie legte die CD ein. „Nein, ist schon in Ordnung.“
Sie stellte nicht mehr viele Fragen und Nicholas beantwortete die wenigsten davon mit der Ehrlichkeit, die er ihr gern entgegengebracht hätte. Stattdessen wich er aus, redete um die Wahrheit herum und verfluchte die kurzen Impulse in
Weitere Kostenlose Bücher