Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
Was immer du tust, ich glaube nicht, dass es noch aufzuhalten ist.“
Er küsste sie behutsam und ließ sich ebenso zart zurückküssen. Dann legte er den Kopf in ihren Schoß. Genoss für einige Sekunden das Gefühl ihrer Finger, die durch sein Haar und über seine Wange strichen. Verweilte einen Moment in der Illusion, einfach liegen bleiben zu können.
„Sieh zum Horizont“, sagte er. „Wenn es stürmisch und dunkel ist, dann verschwimmt da draußen die Grenze zwischen Land, Wasser und Himmel. Dann ist es fast, als gäbe es dort keine Grenzen. Als wäre das alles in der Lage, miteinander zu verschmelzen.“
Er schloss die Augen und biss die Zähne zusammen. Adrenalin schoss durch seinen Körper und löste die Fesseln, die den Dämon hielten.
20
S
ie hatte alles erwartet. Nur nicht, dass es ihr den Boden unter den Füßen wegreißen würde. Es hatte so leicht geklungen, ruhig sitzen zu bleiben, abzuwarten und einfach hinzunehmen, was immer auch geschah. Wie hätte sie auch ahnen sollen, was wirklich passieren würde?
Nicholas krümmte sich plötzlich unter schmerzerfülltem Stöhnen. Sein Körper zuckte und er stieß Geräusche hervor, die ihr Tränen in die Augen trieben. Sie versuchte, ihn an den Schultern festzuhalten und spürte Panik in sich aufsteigen. Das konnte nicht normal sein. Vielleicht ging etwas schief. In dem Moment, als er leblos auf ihre Oberschenkel sackte, brach gleichzeitig auch jeder vernünftige Gedanke in sich zusammen.
Es ging wie ein Stromschlag durch ihren Körper und hinterließ dieses seltsame Vibrieren in ihren Knochen, sowie einen stechenden Schmerz, weil ihr Blut kalt zu werden schien. Eiskalt. Sie hatte das schon einmal erlebt. Zwei Tage zuvor, im Keller der Clerica, als Tina den Dämon befreit hatte. Doch das hier war so viel stärker, so viel überwältigender. Und noch etwas anderes kam dazu. Sorge. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Seines schlug nicht mehr.
Den finsteren Brodem, der aufstieg, beachtete sie zunächst kaum. Der Schock fokussierte ihren Blick allein auf Nicholas’ Gesicht. Alles darum herum verschwamm, wie ausgeblendet. Er sah nun friedlich aus, als würde er schlafen. Ganz anders als Sascha damals. Aber seine Haut war viel zu blass. Sein Körper lag bewegungslos in ihrem Schoß und gab seine Wärme bereits hin. Joana konnte nichts dagegen tun. Spielte ihr die Dunkelheit einen Streich oder wurden seine Lippen schon blau? Oh Gott, er würde sterben!
Er war tot. Nein. Leer.
Eine schemenhafte Bewegung ließ Joana aufsehen. Sie schnappte heftig nach Luft und bekam sie kaum mehr aus den Lungen gepresst. Die dunkle Schwade zitterte im Wind, zog sich zusammen und nahm Gestalt an. Keine zwei Meter von ihr entfernt kam der Dämon zum Stehen und sah auf sie herab. Joana keuchte, das Atmen wurde schwer, so schwer.
Sein Körper erinnerte an einen Schatten und war doch viel dunkler. Sie konnte kaum hindurchsehen, dennoch erkannte sie, dass er nicht von fester Materie war. Der Wind verwischte seine Konturen, drohte, ihn mit einer einzigen Böe in Stücke zu reißen. Trotzdem erkannte sie seine Umrisse deutlich. Er war gewaltig. Seine Körpergröße, die knapp über zwei Meter betrug, wirkte fast so bedrohlich, wie die beiden kurzen Hörner auf seiner Stirn. Etwas tiefer wiesen zwei schwarze Höhlen schemenhaft auf die Existenz von Augen hin. Sie waren leer. An der Stelle, wo sein Gesicht war, gab sich keine Regung zu erkennen, kein Gefühl, gar nichts. Er bewegte sich nicht und Joana schüttelte unwillkürlich den Kopf. Das konnte nicht alles sein. Nicht dieses leere, bedrohliche Schattenwesen. Wo war er? War es die Dunkelheit, die all das verschluckte, was ihn ausmachte?
Mit aller Vorsicht schob sie den schweren Kopf von ihrem Schoß und ließ ihn behutsam in den Kies sinken, die Augen auf den im Wind flatternden Schatten gerichtet. Dann stand sie auf. Zeitlupenartig. Ihre Lippen formten wie von selbst lautlose Worte.
„Ganz ruhig, ganz langsam. Oh Shit – was tue ich hier?“
Als sie zögernd einen Schritt auf ihn zumachte, zuckte er zurück. Er hob eine riesige Hand. Lange Finger loderten wie dunkle Flammen im Wind. Joana konnte die Krallen daran nicht sehen, doch sie ahnte, dass sie da waren. Die Geste sollte sie zurückhalten, sie wusste es und trat dennoch einen weiteren Schritt vor. Und noch einen. Ihr Atem rasselte, hastig und zu laut, aber sie bemerkte es kaum. Seine erhobene Klaue schloss sich zur Faust.
„Keine Angst“, hauchte sie, nicht wissend,
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