Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
schlenderten sie die Küste entlang. An dem gleichmäßigen Heben und Senken ihrer Brust erkannte er, dass das Atmen ihr hier viel leichter fiel, als im Wagen. Zunächst bückte sie sich ab und zu nach einem Stein oder einer Muschel. Sie betrachtete ihren Fund und strich mit den Fingern darüber, ehe sie ihn wieder hinlegte. Sie warf nichts davon fort, sie gab es einfach zurück, als wäre es ein Frevel, diesem Ort etwas wegzunehmen. Nach einer Weile zog sie sich die Schuhe aus und traute sich näher ans Wasser heran. Sie spielte mit den Wellen, ließ sie um ihre Knöchel spülen und hüpfte zur Seite, wenn sie am Bund ihrer Caprihose leckten. Behutsam glitt sie mit der Hand durch das Wasser und kostete es mit einem verschämten Lächeln von ihren Fingern.
Nicholas betrachtete sie heimlich. Wenn sie sich unbeobachtet fühlte, breitete sie die Arme aus und drehte sich im Kreis. Ein Tanz, allein für die Möwen aufgeführt, die auf einer nahen Sandbank hockten und neugierig herüber gafften. Um Joana zuzusehen, unterbrachen sie sogar die Suche nach Krebsen. Sie sah fast glücklich aus und er verfluchte sich selbst, weil er das wieder zerstören würde.
Seufzend ließ er sich im Kies nieder. Joana setzte sich im Schneidersitz zu ihm und sagte, dass sie den Ort wunderschön fand. Das Haar hing ihr wirr im Gesicht und erinnerte ihn an ihren Anblick, nachdem ermit ihr geschlafen hatte. Das Bild weckte ein Kribbeln in seinem Schoß und ein davon losgelöstes in seinem Brustkorb. Wunderschön traf es gut.
Inzwischen war der Himmel vollkommen dunkel geworden, aber der Schein von Mond und Sternen berührte die Wasseroberfläche, sodass sie genug sehen konnten, solange nicht gerade eine Wolke vor dem Mond hergetrieben wurde. Das fahle Licht betonte die tiefen Schatten unter ihren Augen und nahm ihrer Haut den goldenen Schimmer. Ihre Unterlippe zitterte leicht. Verdammt. Ihr war kalt und sie war erschöpft. Sie sollte nicht hier sein. Aber auch an keinem anderen Ort der Welt.
„Du siehst so ernst aus, als müsstest du in einen Krieg ziehen“, sagte sie, einen Hauch von Lächeln in der Stimme. „Und zwar unbewaffnet.“
Er lachte leise. „Ich bin bis an die Zähne bewaffnet mit Angst.“
Es war so absurd. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr so elend gefühlt, trotzdem lachte er. Nie war seine menschliche Hülle enger gewesen, nie hatte er sich mehr danach gesehnt, ihr zu entfliehen. Und nie war er dankbarer gewesen, für den Schutz den sie bot.
Er warf ihr den Autoschlüssel vor die Füße und fing einen fragenden Blick auf. „Du brauchst ihn, falls du nach Hause fahren möchtest. Aber warte damit, bis ich zurück in diesem Körper oder weit genug fort bin. Bitte bleib einfach dort sitzen und beweg dich möglichst wenig. Lauf keinesfalls weg. Meine Selbstbeherrschung ist instabil und wenn du rennst, dann könnte das …“ Er sprach nicht weiter. In Mondlicht getaucht erbleichte sie. Sie hatte verstanden.
„Du willst das gar nicht, oder?“ Ihre gewisperten Worte gingen im Lied der Wellen fast unter.
„Nein. Denn es wird dir Angst machen. Und doch. Weil ich will, dass du mich kennst. So wie niemand anderes mich kennt.“
„Niemand? Niemand kennt diese Seite an dir?“
„Niemand, dem ich den Rücken zuwenden würde. Hör zu, Jo. Du wirst nur einen Schatten sehen, mehr nicht. Das, was dahinter liegt, werde ich dir nicht zeigen. Nie. Der Schatten ist nicht gefährlicher als ich es bin, also hab keine Angst.“
Ihr Blick zuckte kurz zu Boden, sie schluckte. „Ich habe keine Angst. Du bist immer noch der Gleiche.“
„Mitnichten.“
Er rutschte näher zu ihr, berührte ihr Gesicht mit den Fingerspitzen und nahm es schließlich zwischen seine Hände. Sie ließ es zu und allein das hätte ihn ob ihres Mutes fast die Flucht ergreifen lassen.
„Nur für den Fall, dass das hier Lebewohl ist“, flüsterte er und näherte sich ihren Lippen.
Er musste die Augen schließen, weil ihn die Konfusion in ihren so nervös machte. Doch auch blind spürte er ihre Unruhe weiter wachsen. Sie hatte gelogen. Sie hatte Angst. Er wollte sich mit einem lautlosen Seufzen zurückziehen, als plötzlich ihr Mund auf seinem lag.
Der Kuss war weich, warm und unschuldig, genauso wie ihr Körper, der sich an seine Brust lehnte. Sein Herz polterte, als wollte es ihm um die Ohren fliegen.
„Für die Wahrheit ist es eh schon zu spät“, hauchte sie an seine Lippen. „Ich bin längst in deinem Netz eingesponnen. Das Gift wirkt schon.
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