Nyx - House of Night: Das Begleitbuch (German Edition)
unter unseren Füßen, der in seinem satten Duft Verheißung birgt. Sie ist die flinke Jägerin in den Wäldern und die Wäscherin am Fluss, die blutige Gewänder wäscht und den nahen Tod voraussagt. Sie hat drei Gesichter: das des jungen Mädchens, der Mutter und der alten Frau. Sie ist gigantisch – wie die 24.000 Jahre alte Venus von Willendorf, und sie ist leicht – wie Eos, die Göttin der Morgenröte. Sie ist Kali, sie ist Artemis und Athene und Morrígan. Als Gaia, unser Planet, gibt sie uns Nahrung, die uns am Leben erhält. Als Hel geleitet sie uns bei unserem Tod in die Unterwelt. Sie ist die Göttin des ewigen Kreislaufs, der Urquell von Leben und Tod.
Seit Anbeginn der Geschichte wurde das Göttlich-Weibliche verehrt und geliebt, geschmäht und gescholten, angebetet und gefürchtet. Sie wurde gepriesen und sie wurde entweiht. Mit dem Aufstieg der patriarchalischen Religionen wandelte sich die Göttin: War sie zuvor noch die Seele der Erde, die die Menschen trug, so wurde sie nun zum Gesicht Evas, die in Ungnade gefallen war, und den Fall der Menschheit verursacht hatte. Am Anfang war sie noch Lilitu, eine mächtige Göttin, doch dann wurde ihr die Macht entrissen und aus ihr wurde Lilith, die Kinder verschlingende Dämonin.
Sie ist alle Farben. Sie ist jede Größe. Sie ist jedes Alter. Sie ist Leben und sie ist Tod. Sie ist riesengroß – so umfassend, dass ein einziger Artikel niemals ihre ganze Geschichte fassen kann.
Die Verehrung der Göttin ist ein derart breites Thema, dass ich mich darauf beschränken werde, zu erläutern, wie P. C. und Kristin verschiedene Aspekte aus der historischen und aktuellen Forschung nutzen, um für die H OUSE OF N IGHT -Reihe eine eigene Vision des Göttinnen-Kults zu entwickeln. Wir betrachten dabei unterschiedliche Aspekte aus Geschichte und Mythos und erkunden, wie sie sich in Zoey Redbirds Geschichte niederschlagen.
KURZE ABGRENZUNG
Ich möchte gleich vorwegnehmen, dass ich mich diesem Thema nicht von einem akademischen Standpunkt aus nähere – sondern es als moderne Heidin, Priesterin und schamanische Hexe betrachte. Ja, ich bin auch Bestsellerautorin. Und ich interessiere mich für Technik und stimme auch zum großen Teil den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft zu – doch meinem Glauben nach bin ich eine schamanische Hexe. Ich bin keine Wicca und ich glaube an mehrere Götter und Göttinnen (und in den meisten heidnischen Religionen sind die Götter nicht allwissend oder allmächtig).
Ich bin seit mehr als dreißig Jahren eine Hexe, die alleine wirkt und habe mir also das Wesentliche selbst beigebracht. Mit der Zeit hat es sich ergeben, dass ich mit verschiedenen Gruppen zusammengearbeitet und sie geleitet habe. Doch mein eigener Lebensweg hat sich über die Jahre auf einen bestimmten Fokus hin entwickelt, und heute ziehe ich es vor (wie schon früher in meinem Leben), die meisten meiner Handlungen und Rituale alleine durchzuführen – abgesehen von einigen Feiertagen. So habe ich es für mich entschieden, aber nicht alle Heiden wählen diesen Weg. Im Neopaganismus gibt es ebenso viele anpassungsfähige Formen der Anbetung und des Glaubens wie es Anhänger gibt, denn die meisten von ihnen versuchen zu rekonstruieren, wie die alten Riten gefeiert worden sein müssen – aber wir können niemals wirklich genau wissen, was damals geschah.
Es wird zwar in
manchen
Forscherkreisen vermutet, dass es einmal einen einheitlichen weltweiten Göttinnen-Kult gegeben hat, doch echte Beweise fehlen. Es gab Tausende von Göttinnen, deren Eigenschaften sich zwar durch gegenseitige Anpassung zwischen den Kulturen manchmal ähnelten. Aber es gab ganz unterschiedliche Vorstellungen von ihnen, und sie wurden alle auf ihre eigene Art verehrt. Doch viele dieser Anbetungsrituale sind mit der Zeit verloren gegangen. Darüber hinaus gibt es so viele wissenschaftliche Ansichten darüber, wofür bestimmte göttliche Symbole stehen, dass es keine Hoffnung gibt, man könne sich je ein klares Bild davon machen, was in den meisten Tempeln oder Schreinen vor sich ging. Insbesondere dann, wenn es nur mündliche Überlieferungen gibt. Also tun wir unser Bestes, moderne Versionen der alten Praktiken für unsere Welt zu erfinden.
Bittet man zehn moderne Heiden um eine Definition der Göttin, so erhält man zehn unterschiedliche Antworten. Und doch gibt es einige Glaubenselemente, die sich die meisten zu eigen machen, und auf einige davon werden wir auf den kommenden Seiten zu
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