Oberst Chabert (German Edition)
Vergniaud«, antwortete der andere sofort. »Ich habe Ihnen nur zwei Worte zu sagen.«
»Nun, dann sind Sie auch derjenige, der den Grafen Chabert so famos untergebracht hat, wie ich ihn angetroffen habe?«
»Verzeihen Sie, entschuldigen Sie, mein werter Herr, er hat doch das schönste Zimmer. Ich hätte ihm ja meine Stube gegeben, aber ich habe nur die eine. Ich hätte dann im Stall geschlafen. Ein Mann, der so viel gelitten hat, wie er, und der meine Würmer lesen lehrt, ein General, ein Ägypter, der erste Leutnant, unter dem ich gedient habe ... Das muß man sehen, so was sieht man nicht noch einmal! Mit einem Wort, besser hätte ich ihn gar nicht unterbringen können. Ich habe mit ihm alles geteilt. Viel ist es ja nicht. Brot, Milch, Eier. Aber im Kriege ist es wie im Kriege. Alles aus gutem Herzen. Aber er hat uns drangekriegt!«
»Er?«
»Kein anderer. Drangekriegt, das ist das rechte Wort. Ich habe mich in eine Sache eingelassen, die über meine Kraft ging. Er sah es wohl. Das war ihm zuwider und er machte sich daran, meinen Gaul zu striegeln. Ich zu ihm: ›Was fällt dir ein, General?‹ ›Ach was,‹ sagt er, ›das Müßiggehen tut mir weh, und die Kunst des Pferdestriegelns habe ich mit der Muttermilch eingesogen.‹ Nun habe ich Wechsel im Höchstwerte meiner Milchwirtschaft einem gewissen Grados in Zahlung gegeben ... Sie kennen ihn, mein Herr ...«
»Aber, lieber Freund, ich habe keine Zeit für Ihre Erzählungen. Sagen Sie mir nur das eine, wie der Oberst Sie drangekriegt hat.«
»Hat er auch, mein werter Herr, so wahr ich Louis Vergniaud heiße und meine Frau dieserhalb geweint hat. Er wußte nun durch Nachbarn, daß wir nicht das Geld hatten, den ersten Wechsel einzulösen. Da geht der alte Bärenhäuter hin, packt alles zusammen, was Sie ihm gegeben haben, und bezahlt den Wechsel. Ist das nicht tückisch? Und dabei wissen meine Frau und ich, der arme Kerl hat keinen Tabak, den er doch so liebt. Aber jetzt, jetzt hat er Tag für Tag seine Zigarren und sollte ich mich in Stücke schneiden lassen, er soll sie künftig haben. Nein, er hat uns drangekriegt. Nun sehen Sie, ich wollte Sie bitten, denn wir wissen durch ihn, Sie sind ein Ehrenmann, Sie möchten uns so einhundert Taler leihen auf unser Geschäft, um ihm einen Anzug machen zu lassen und sein Zimmer einzurichten. Er wollte uns aus den Schulden freimachen, aber er hat uns nur tiefer in die Tunke hereingeritten ... und drangekriegt.
Und das unter Freunden! Er hätte uns diesen Schimpf nicht antun dürfen. Auf meine Ehre, so wahr ich Louis Vergniaud heiße, lieber wollte ich meinen Leichnam verpfänden, als Ihnen diese Summe schuldig bleiben...«
Derville sah den Viehzüchter an und machte ein paar Schritte zurück, um das Haus, den Hof, die Mistpfützen, die Ställe, Kaninchen und Kinder noch einmal anzusehen.
Meiner Treu, dachte er, ich glaube, es gehört unzertrennlich zur Tugend, daß man nicht der besitzenden Klasse angehört. »Du sollst deine hundert Taler haben und mehr. Aber nicht ich werde sie dir geben, sondern der Oberst wird reich genug sein, um dir zu helfen, und dieses Vergnügen will ich ihm nicht nehmen.«
»Wann wird das sein? Bald?«
»Sicherlich!«
»Da dran wird meine Frau tausend Freude haben.« Und das gegerbte Gesicht des Viehzüchters wurde nochmal so schön.
Nun, sagte Derville zu sich, als er in sein Kabriolett stieg, vorwärts zu unserm Gegner. Wir wollen alles aufbieten, daß wir seine Karten sehen, er aber unsere nicht. Vielleicht ist die Partie mit einem Zuge zu gewinnen. Man müßte die Gräfin durch Schreck überrumpeln. Sie ist eine Frau. Wovor erschrecken Frauen? Aber Frauen erschrecken nur, wenn ...
Er begann, sich in die Situation der Gräfin hineinzudenken, er versank in eine innere Betrachtung, wie sie die großen Politiker anstellen, die ihre Pläne kühn entwerfen und das Geheimnis der feindlichen Kabinette zu ertasten suchen.
Sind denn nicht auch Anwälte Politiker, nur daß sie nicht Staats-, sondern Privatgeschäfte leiten? Ein Blick auf die Lage des Grafen Ferraud und seiner Gattin ist hier nötig, um das Genie des Anwalts würdigen zu können.
Der Graf Ferraud war der Sohn eines alten Rates am Pariser Parlamente, der während der Schreckensherrschaft emigriert war. So rettete er sein Leben und verlor sein Vermögen. Unter dem Konsulate kehrte er zurück. Treu ergeben blieb er den Interessen Ludwigs XVIII., in dessen näherer Umgebung sein Vater vor der Revolution gelebt hatte. Er
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