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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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gelegt.
    »Wieso deutsch?«, fragte Oliver Krapf.
    »Da sieh mal«, sagte Tina. »Der Aufdruck. E…hr…e d…ts…hs V…terl…d.«
    Vor allem das Vaterland war ziemlich zerquetscht.
    »Tatsächlich«, sagte Oliver Krapf und betrachtete die Münze näher. Tinas Kopf kam an seine Schulter. Sie roch nach Mandelkuchen.
    »Und da«, sagte Tina. »Vielleicht eine Jahreszahl.«
    Krapf betrachtete die Stelle, wo Tina mit ihrem kleinen Finger hingedeutet hatte. Eine klitzekleine Gravur war da zu sehen, eher eine Kritzelei. Vielleicht auch bloß eine Schramme. Aber in diesem Augenblick war Oliver Krapf gefangen, auch später, als er die Mauser an der Schläfe spürte, musste er an diesen Moment der unbedingten und kompromisslosen Faszination denken. Er musste diese Münze haben. Diese Münze barg ein Geheimnis. Der Händler näherte sich.
    »Nur kein Interesse zeigen«, murmelte Tina. »Beiläufig eine Handvoll nehmen.«
    »Ein Handvoll kostet 500 Dirham«, sagte der Händler und stach mit einer verbeulten Kelle in den Münzhaufen. »Ich schütte sie dir in ein Säckchen, ohne dass du was siehst. Alter Brauch. Du machst das Säckchen zu Hause auf, und in alle Länder, von denen du Münzen hast, wirst du mal fahren.«
    Der Händler füllte ein Säckchen ab, Oliver Krapf hielt die eine Münze fest umklammert. Sie handelten noch, dann zahlten sie einen womöglich zu hohen Preis für die nutzlosen Dinger in dem Säckchen. Die nächsten Stunden, den Rest des Tages konnte Oliver Krapf an nichts anderes mehr denken. Die Münze und vor allem die Gravur darauf hatten eine Saite in seinem rätselsüchtigen Kryptologenherzen angerissen, die nicht mehr zu klingen aufhörte. Er bewunderte die tollen Bauwerke der Kalifendynastien nur noch mit halbem Auge, ihm schmeckten die pappsüßen Crêpes und die mit Mandelbrei gefüllten Teigrollen nicht mehr. Auf dem Zeltplatz sah er sich die Münze nochmals genauer an. Wie leicht wäre es mit einem Netzzugang gewesen, ein Numismatikerforum zu besuchen! So gab es keinen Hinweis darauf, ob das eine preußische Kupfermark war, ein kurpfälzischer Thaler, ein oberhessischer Groschen, was auch immer. Was ihn aber am meisten interessierte, war die klitzekleine Gravur auf der Vorderseite, eher eine Kritzelei, auf den ersten Blick mochte es ein Gesicht sein. Auf den zweiten Blick hätte es auch eine Inschrift sein können, so etwas wie LUK A – oder eher LUK M. D as Lukas-Evangelium? Aber im tiefsten Nordafrika war natürlich kein Neues Testament aufzutreiben. Und ohne Internet –
    »Ich fahre zurück«, sagte Oliver Krapf zu Tina.
    »Wenn du musst«, sagte sie.
    »Ich muss«, sagte er.
    Auf dem sommersprossigen Gesicht Tinas erschien ein merkwürdiger Ausdruck. Oliver Krapf deutete ihn als Enttäuschung.

8 .
    »Die verdeckten Ermittler arbeiten seit einem halben Jahr im Kurort«, sagte Dr. Rosenberger und tippte mit den Fingerspitzen auf den roten Schnellhefter. »Wir haben ihnen wasserdichte Parallelexistenzen verschafft. Sie sollten sich Zugang zu gewissen Kreisen im Ort verschaffen, um zu gegebener Zeit schnell zugreifen zu können. Sie sind unauffällig auf verschiedene, wechselnde Pensionen und Gästehäuser im – oder genauer gesagt: um den Kurort herum verteilt und warten dort auf ihren Einsatz.«
    »Sie sind als harmlose Wanderer getarnt?«
    »Einige von ihnen, ja. Wenn etwas in diesem Talkessel auf gar keinen Fall auffällt, dann sind es harmlose Wanderer. Zwei haben einen Cateringservice aufgemacht, sie versuchen auf diese Weise, an bestimmte sensible, Mafia-affine Adressen heranzukommen. Sie haben es schon geschafft, ins Rathaus zu liefern, ins Gefängnis, in einige verdächtige Arztpraxen, in die VIP -Lounge des Skistadions, usw.«
    »Das BKA steigt ins Cateringservice-Geschäft ein? Ein ausgebildeter Scharfschütze rührt Salatsoßen zusammen?«, fragte Maria verwundert.
    Alle lachten, auch das Gesicht des Oberrats heiterte sich auf. Doch er fand sofort wieder zum amtlich gebotenen Ernst zurück.
    »Nun ja, so ist es eben. Im Kampf gegen das Verbrechen sind manchmal außergewöhnliche Maßnahmen nötig. Am Anfang der Aktion hatten wir sogar die Idee, ein italienisches Restaurant zu eröffnen, eine Pizzeria, die ausnahmslos mit Beamten des BKA bestückt ist. Wer weiß, vielleicht hätten sich da Mitglieder der Familie eingefunden und nach ein paar Fläschchen Barolo das eine oder andere ausgeplaudert.«
    »Die Idee finde ich toll«, warf Nicole Schwattke ein. »Warum haben Sie es

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