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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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erstaunlich gut erhalten. Das Streichholz erlosch wieder, er zündete ein neues an. Er trat ein paar Schritte näher. Es musste sich um fünfzehn oder zwanzig Körper handeln, sie waren alle vollständig skelettiert, und er konnte einige Gegenstände dazwischen erkennen. Ein Teil fiel ihm sofort ins Auge: Ein Schulranzen, vielleicht war es auch ein Tornister oder ein altertümlicher Rucksack. Außen baumelte Kochgeschirr, eine Pfanne und eine Tasse aus Aluminium. Dann entdeckte er das Holz. Er sah, dass es ein brüchiger, trockener Baumstamm war. Beherzt griff er in den Knochenhaufen und zog ihn heraus. Krachend fiel ein Skelett zur Seite. Er betrachtete das Stück Holz, er befühlte es. Es war staubtrocken. Konnte er es wagen, damit Feuer zu machen? Er sah sich um. Die Höhle war geräumig genug. Und wenn das Feuer aus irgendeinem Grund wirklich um sich griff, konnte er es mit Wasser löschen. Er hielt das Streichholz an den Baumstamm, er fing sofort Feuer, bald loderten helle Flammen. Er rieb sich die Hände. Nun konnte er sich ein wenig aufwärmen.
    Es sind 18  Skelette, die meisten auf den ersten Blick vollständig. Vielleicht ein Grab oder eine Krypta. Fast jedes Skelett hat eine Tasche, einen Tornister, einen Sack oder ähnliches dabei – vielleicht Grabbeigaben. Habe mich noch nicht überwinden können, die Taschen zu untersuchen. Einer trägt einen Anzug aus festem Stoff, aus grobem Leinen. Den Knöpfen nach zu urteilen, ist es eine Militäruniform.
    Er ließ den Stift sinken. Bei einem der Skelette hatte er ein besonders beunruhigendes Detail entdeckt. Das obere Drittel des Schädels fehlte. Der Schnitt war sauber und scharfkantig, chirurgisch präzise ausgeführt worden.

31 .
    Hansjochen Becker drehte das Notebook herum, damit alle auf den Bildschirm sehen konnten.
    »Kommissarin Schwattke hat ja fleißig fotografiert, und ich habe ihre schönsten Schnappschüsse herausgepickt.«
    Ein Bild mit sechs an der Decke hängenden Tierkadavern erschien.
    »In diesem Raum schlug mir schon von draußen ein ätzender, süßlicher Gestank entgegen«, sagte Nicole. »Im ersten Augenblick befürchtete ich das Schlimmste, aber dann habe ich gesehen, dass bei Hartls wohl Schweine geräuchert werden.«
    »Das mit dem Räuchern ist richtig«, sagte Becker. »Was wir hier allerdings sehen, meine Damen und Herren, sind sechs ausgewachsene Exemplare des
Capreolus capreolus
, im Volksmund auch Reh oder Trughirsch genannt. Und übrigens, Nicole: Schweine häutet man nicht. Wo soll denn sonst die krosse Kruste herkommen!«
    »Ich höre wohl nicht richtig«, warf Maria Schmalfuß ein. »Wir fingieren hier mit viel Mühe ein Wilderer-Drama – und der Hartl Peter ist ein echter Wilderer?«
    »Das ist nicht gesagt«, entgegnete Jennerwein. »Er kann das Wildbret auch legal erworben haben. Räuchern ist nicht verboten. – Aber was um Gottes Willen ist denn das für eine Höllenmaschine?«
    Auf dem nächsten Bild war eine Ansammlung von Apparaturen, miteinander verbundenen Gläsern und losen Drähten zu sehen.
    »Vielleicht ist der Hartl ein Aktionskünstler, und das ist eine Installation für die nächste
documenta
in Kassel?«, scherzte Maria. Niemand lachte.
    »Das sieht mir eher nach einem Schnapsbrennkessel aus«, sagte Hölleisen.
    »Nein, eine Schnapsbrennerei ist das auch nicht«, sagte Ostler nachdenklich. »Irgendwo habe ich diese Anordnung von Geräten und Flaschen schon einmal gesehen. Aber in anderem Zusammenhang.«
    »Meine Herrschaften, wir müssen uns auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren«, sagte Jennerwein mit großer Dringlichkeit in der Stimme. »Die Zeit läuft uns davon. Becker, haben Sie noch etwas Auffälliges auf den Bildern entdeckt?«
    »Kommissarin Schwattke hat jeden Quadratmeter Wand, Boden und Decke abgelichtet. Ich habe mir alles mehrmals angeschaut. Ich kann weder geheime Gänge noch doppelte Böden erkennen. Das einzig Auffällige ist diese sonderbare Eisentür.«
    »Konzentrieren wir uns auf diesen unterirdischen Wasserstrom«, sagte Jennerwein. »Nach den Plänen, die uns das Wasserwirtschaftsamt sowie das Bauamt gegeben haben, fließt kein Bach in der Nähe des Hartl-Hofs, weder über- noch unterirdisch.«
    »Aber ich habe mich nicht getäuscht«, sagte Nicole. »Ich habe das Wasser fließen sehen.«
    »Es gibt jedenfalls Hohlräume, von denen wir nichts wissen, die hier nicht eingezeichnet sind und die man von außen nicht erkennen kann. Hohlräume, die durchaus als Versteck dienen

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