Oberwasser
können. Und wegen dieser Hohlräume müssen wir wissen, wie der Bach wirklich verläuft.«
»Ich vermute, dass es eine Abzweigung gibt«, sagte Stengele und deutete auf die Karte. »Der Mühlbach fließt an der Kirche vorbei, verläuft ein kurzes Stück unterirdisch, taucht dann da drüben wieder auf.«
»Warum verläuft er überhaupt unterirdisch?«, fragte Maria.
»Es gab in den letzten Jahren immer wieder heftige Hochwasser im Ort«, sagte Ostler. »Dabei ist auch dieser kleine Bach ziemlich angeschwollen und hat viel Schaden verursacht. Deswegen hat er ein unterirdisches Bett bekommen.«
Jennerwein stand auf.
»Ich würde vorschlagen, wir gehen mal schnell zur Kirche hinüber und machen uns persönlich ein Bild.«
»Und Sie glauben im Ernst, dass der Wilderer Kirchenasyl bei uns beantragt hat?«, sagte der Pfarrer und lachte schallend. Hochwürden Hammer war ein gemütlich aussehender Mann, den sie in der Sakristei bei seinen Messvorbereitungen angetroffen hatten.
»Also ganz ehrlich«, sagte er, »wenn ich Wilderer wäre, würde ich mir nicht die Kirche mitten im Ort auswählen.«
»Vielleicht sind Sie ja der Wilderer«, sagte Maria.
Hammer lachte wieder herzhaft. Hubertus Jennerwein blickte sich um. Er war schon Jahrzehnte nicht mehr in der Pfarrkirche St. Martin gewesen, in dieser über und über mit goldenen Putten und Engeln verzierten Barockkirche. Sein erster Blick fiel auf die Empore, auf der bei Gottesdiensten der Kirchenchor oder das Orchester Platz fand. Er selbst hatte nie im Kirchenchor gesungen. Er war in seinem Leben noch nie auf dieser Empore gewesen. Das hatte seinen Grund. Seine Großmutter hatte ihm damals erzählt, dass dort oben der Teufel säße, um sich diejenigen Kinder herauszugreifen, die zu spät in die Kirche kamen. Er würde sie auf die Empore hochziehen und mit ihnen dann für immer und ewig in die Hölle verschwinden.
»Aber da stimmt doch was nicht!«, hatte er damals als Fünfjähriger widersprochen.
»Warum soll da was nicht stimmen?«
»Der Teufel müsste doch eine große Freude daran haben, dass die Kinder zu spät zur Heiligen Messe kommen.«
»Hat er ja auch.«
»Ja schon, aber dann müsste der Teufel doch von der Empore aus eher Beifall klatschen und das Kind wieder hinausschicken und ihm sagen, dass es noch später – vielleicht sogar gar nicht mehr kommen soll.«
»Da schau her: Fünf Jahre ist er alt, der gottlose Bub – und will
mir
etwas vom Teufel erzählen!«
Maria ließ nicht locker. Sie versuchte es jetzt mit Charme.
»Hochwürden, nur eine theoretische Frage: Wo würden Sie denn jemanden verstecken, wenn er Kirchenasyl beantragen würde?«
»Nun ja, wir haben eigentlich keinen Platz für so etwas«, erwiderte Pfarrer Hammer lächelnd. »Vielleicht würde ich ihn auf den Glockenstuhl schicken. Oder auf die Empore, hinter die Kirchenorgel. Aber in dieser Kirche ist das meines Wissens noch nicht vorgekommen.«
»Und wenn es vorgekommen wäre, dann würden Sie es ausgerechnet uns, den Vertretern der Staatsmacht, kaum verraten, stimmts?«
Und abermals lachte der gemütliche Priester dröhnend.
»Was ist eigentlich mit dem Bach, der an der Kirchmauer vorbeifließt?«, fragte Jennerwein.
Das Lachen Hammers verstummte
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, sagte er zögernd. »Dann sollte ich Ihnen wohl unseren Keller zeigen. Kommen Sie mit.«
Die Beamten folgten dem Pfarrer. In der Sakristei führte eine Treppe nach unten in ein überraschend geräumiges Untergeschoss. Schon wieder ein Keller, dachte Nicole.
»Die Kirche selbst ist fast dreihundert Jahre alt. 1730 war die Grundsteinlegung. Der Keller wurde allerdings erst später ausgebaut.«
Nicole zog die Augenbrauen hoch. Der Pfarrer bemerkte das. Er wurde verlegen.
»Wir bekamen Probleme mit dem Wasser des Baches«, sagte er fast entschuldigend. »Wir haben ihn in eine Röhre gesperrt und führen ihn unterirdisch durch.«
Er öffnete eine weitere Tür, und hier war eine meterdicke Betonröhre zu sehen, diesmal ohne Bullauge.
»Führt der Bach am Hartl-Hof vorbei?«
»Nein, nicht dass ich wüsste. Der Mühlbach kommt hundert Meter weiter, in der Nähe des Kurparks wieder an die Oberfläche.«
»Ich will mir die Röhre genauer ansehen«, sagte Becker. »Gibt es einen Einstieg? Oder wenigstens eine Öffnung?«
»Natürlich, natürlich!«, sagte Hochwürden Hammer, viel zu schnell, viel zu beflissen. Die Ermittler blickten einander unauffällig an: Dieser Pfarrer war
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