Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
Vom Netzwerk:
fast weinend.
    »Wodurch?« wiederholte Oblomow. »Hast du denn darüber nachgedacht, was das heißt: die ›andern‹?«
    Er schwieg und blickte Sachar noch immer an.
    »Soll ich dir sagen, was das ist?«
    Sachar bewegte sich wie ein Bär in seiner Höhle und seufzte so auf, daß man es im ganzen Zimmer hörte.
    »Der ›andere‹, den du meinst, ist ein elender, armer, grober, ungebildeter Mensch, er lebt schmutzig und armselig auf dem Dachboden; oder er schläft auf irgendeinem Lumpen auf dem Hof. Was kann einem solchen Menschen geschehen? Gar nichts. Er frißt Kartoffeln und Hering. Die Not schleudert ihn aus einer Ecke in die andere, und er läuft den ganzen Tag herum. Er wird also auch in eine neue Wohnung ziehen. Zum Beispiel Ljagajew, er nimmt sein Lineal unter den Arm, bindet seine zwei Hemden in ein Taschentuch ein und geht ... ›Wohin gehst du?‹ ›Ich ziehe um‹, antwortet er. So macht es der ›andere‹! Und ich bin deiner Meinung nach auch ein ›anderer‹, he?«
    Sachar blickte den Herrn an, trat von einem Fuß auf den andern und schwieg.
    »Was ist der ›andere‹?« sprach Oblomow weiter. »Der ›andere‹ ist ein Mensch, der sich selbst die Stiefel putzt, sich selbst ankleidet, wenn er auch wie ein gnädiger Herr aussieht; das ist aber nicht wahr, er weiß nicht einmal, was Dienstboten sind; er hat niemand, den er hinschicken kann, er holt sich selbst, was er braucht; er schürt selbst das Holz im Ofen, staubt manchmal selbst ab ...«
    »Es gibt viele solche Deutsche«, sagte Sachar düster.
    »Na also! Und ich? Wie, glaubst du, bin ich der ›andere‹?«
    »Sie sind ein ganz anderer!« sagte Sachar weinerlich, da er immer noch nicht begriff, was der Herr sagen wollte. »Gott weiß, was Sie haben ...«
    »Ich bin ein ganz anderer, ja? Warte, sieh einmal zu, was du sagst! Denke einmal darüber nach, wie der ›andere‹ lebt! Der ›andere‹ arbeitet ohne auszuruhen, läuft herum, müht sich ab«, sprach Oblomow weiter, »wenn er nicht arbeitet, ißt er auch nicht. Der ›andere‹ macht Bücklinge, der ›andere‹ bittet und erniedrigt sich ... Und ich? Nun, sage einmal: Was glaubst du, bin ich der ›andere‹, was?«
    »Aber Väterchen, quälen Sie mich nicht so mit traurigen Worten!« flehte Sachar. »Ach du mein Gott!«
    »Ich bin der ›andere‹! Renne ich denn herum, arbeite ich denn? Esse ich denn wenig? Sehe ich denn mager und ärmlich aus? Fehlt es mir denn an etwas? Ich glaube, ich habe jemand, der mich bedient und für mich arbeitet! Ich habe mir, Gott sei Dank, seitdem ich lebe, noch kein einziges Mal selbst einen Strumpf angezogen! Warum soll ich mir denn die Mühe machen? Aus welchem Grunde? Und wem muß ich das sagen? Hast du mich denn nicht seit meiner Kindheit bedient? Du weißt das alles, du hast gesehen, daß ich verwöhnt worden bin, daß ich niemals Hunger und Kälte gelitten habe, daß ich keine Not gekannt, mir mein Brot nicht selbst verdient und mich überhaupt nicht mit schwerer Arbeit befaßt habe. Wie konntest du es also wagen, mich mit anderen zu vergleichen? Besitze ich denn eine solche Gesundheit, wie diese ›andern‹? Kann ich denn das alles tun und ertragen?«
    Sachar hatte endgültig jede Fähigkeit verloren, Oblomows Rede zu verstehen; aber seine Lippen bliesen sich vor innerer Erregung auf; die pathetische Szene donnerte wie ein Gewitter über seinem Haupt. Er schwieg.
    »Sachar!« wiederholte Ilja Iljitsch.
    »Was wünschen Sie?« zischte Sachar kaum hörbar.
    »Gib noch Kwaß her.«
    Sachar brachte Kwaß, und als Ilja Iljitsch, nachdem er getrunken hatte, ihm das Glas zurückgab, wollte er schnell in sein Zimmer gehen.
    »Nein, nein, warte!« sagte Oblomow, »ich frage dich: Wie konntest du deinen Herrn so bitter kränken, den du als Kind auf dem Arme getragen hast, dem du dein ganzes Leben dienst und der dein Wohltäter ist?«
    Sachar hielt es nicht länger aus. Das Wort Wohltäter gab ihm den Rest! Er begann immer häufiger zu blinzeln. Je weniger er begriff, was Ilja Iljitsch ihm in seiner pathetischen Rede mitteilte, desto trauriger wurde er.
    »Verzeihen Sie, Ilja Iljitsch«, begann er reuevoll zu krächzen, »das habe ich aus Dummheit, wirklich nur aus Dummheit ...«
    Und da Sachar nicht begriff, was er getan hatte, wußte er nicht, welches Zeitwort er hinzufügen sollte.
    »Und ich«, fuhr Oblomow im Ton eines gekränkten und nicht nach seinem Verdienst gewürdigten Men schen fort, »sorge mich noch Tag und Nacht und mühe mich ab, manchmal

Weitere Kostenlose Bücher