Oblomow
von der bezeichneten Stelle entfernt stehen.
»Noch näher!« sagte Oblomow.
Sachar gab sich den Anschein, als schreite er weiter, er bewegte sich aber nur, stampfte mit dem Fuße und blieb auf derselben Stelle. Da Ilja Iljitsch sah, es würde ihm diesmal nicht gelingen, Sachar näher zu locken, ließ er ihn dort stehen und blickte ihn eine Zeitlang schweigend und vorwurfsvoll an. Sachar, der sich bei dieser lautlosen Betrachtung seiner Person unbehaglich fühlte, gab sich den Anschein, daß er den Herrn nicht beachte, wandte ihm mehr als jemals seine Seite zu und warf Ilja Iljitsch in diesem Augenblicke nicht einmal seinen einseitigen Blick zu. Er schaute beharrlich nach links, nach der entgegengesetzten Seite hin. Dort erblickte er einen ihm längst bekannten Gegenstand – die Spinnwebenfransen um die Bilder herum, und sah in der Spinne einen lebendigen Vorwurf seiner Nachlässigkeit.
»Sachar!« sagte Ilja Iljitsch leise und würdevoll.
Sachar antwortete nicht; er schien zu denken: Nun, was willst du? Einen andern Sachar? Ich stehe ja hier! und richtete seinen Blick an seinem Herrn vorbei von links nach rechts; er wurde auch dort durch den Spiegel, der mit dichtem Staub wie mit einem Schleier bedeckt war, an sich selbst erinnert; durch diesen Staub hindurch blickte ihn wild und düster, wie durch einen Nebel hindurch, sein eigenes unfreundliches, häßliches Gesicht an. Er wandte seinen Blick unzufrieden von diesem traurigen, ihm nur zu gut bekannten Gegenstand ab und entschloß sich, ihn für einen Augenblick auf Ilja Iljitsch haften zu lassen. Ihre Blicke begegneten sich. Sachar ertrug den Vorwurf nicht, der sich in den Augen des Herrn ausdrückte, und senkte die seinigen zu seinen Füßen herab. Hier sah er wieder im Teppich, der von Staub und Flecken durchsetzt war, ein trauriges Zeugnis für den Eifer, den er im herrschaftlichen Dienst äußerte.
»Sachar!« wiederholte Ilja Iljitsch ausdrucksvoll.
»Was wünschen Sie?« flüsterte Sachar kaum hörbar und fuhr in der Vorahnung einer pathetischen Rede ein wenig zusammen.
»Gib mir Kwaß!«
Sachar fiel ein Stein vom Herzen; in seiner Freude stürzte er rasch wie ein Knabe zur Kredenz hin und brachte Kwaß.
»Nun, wie fühlst du dich?« fragte Ilja Iljitsch sanft, nachdem er aus dem Glas getrunken hatte und es in der Hand hielt, »gewiß nicht gut?«
Der wilde Ausdruck in Sachars Gesicht milderte sich augenblicklich durch den in seinen Zügen aufflammenden Strahl von Reue. Sachar fühlte die ersten Anzeichen des in seiner Brust erwachten und sein Herz erfüllenden Gefühls der Ehrfurcht dem Herrn gegenüber und begann ihm plötzlich gerade in die Augen zu blicken.
»Fühlst du dein Vergehen?« fragte Ilja Iljitsch wieder.
Was ist das für ein »Vergehen«? dachte Sachar betrübt. Irgend etwas Trauriges; man muß ja gegen seinen Willen weinen, wenn er so zu reden anfängt.
»Ilja Iljitsch«, begann Sachar mit dem tiefsten Ton, über den seine Stimme zu gebieten hatte, »ich habe nur gesagt, daß ...«
»Nein, warte!« unterbrach ihn Oblomow, »verstehst du, was du getan hast? Da, stelle das Glas auf den Tisch und antworte!«
Sachar antwortete nicht und begriff gar nicht, was er verbrochen hatte, doch das hinderte ihn nicht daran, den Herrn ehrfurchtsvoll anzublicken; er senkte sogar ein wenig den Kopf, im Bewußtsein seiner Schuld.
»Wie, willst du denn kein giftiger Mensch sein?« sagte Oblomow.
Sachar schwieg immer und blinzelte nur ein paarmal heftig.
»Du hast deinen Herrn gekränkt!« sprach Ilja Iljitsch langsam und sah Sachar starr an, dessen Verlegenheit genießend. Sachar wußte nicht, wo er vor Bangigkeit hin sollte.
»Du hast mich doch gekränkt?« fragte Ilja Iljitsch.
»Ich habe Sie gekränkt!« flüsterte Sachar, durch dieses neue traurige Wort ganz verwirrt. Er richtete seine Blicke nach rechts, nach links und geradeaus, indem er irgendwo nach Rettung suchte, und an ihm huschte wieder das Spinngewebe, der Staub, sein eigenes Spiegelbild und das Gesicht des Herrn vorüber. Wenn ich in die Erde sinken könnte! Ach, warum nur der Tod nicht kommt! dachte er, als er sah, daß er, was er auch beginnen mochte, der pathetischen Szene nicht ausweichen könne. Und er fühlte, daß er immer häufiger und häufiger blinzelte und daß ihm gleich Tränen entströmen würden. Endlich antwortete er dem Herrn mit den Worten eines bekannten Liedes, das er in Prosa gesetzt hatte:
»Wodurch hab' ich Sie denn gekränkt, Ilja Iljitsch?« fragte er
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