Occupy Economics

– Arzt, Jurist, Handwerker – stellt die junge Generation fest, dass die Positionen besetzt sind, dass der Wettbewerb unerträglich geworden ist, dass sie als hoch qualifizierte Praktikanten jahrelang kostenlos arbeiten müssen, um Zugang zu ihrer Branche zu finden. Sie stellen fest, dass manche intellektuell orientierten oder kreativen Berufe durch technologische Neuerungen (Blogs, Handy-Kameras) so extreme Überkapazitäten aufweisen, dass sich für ihre Leistung kein Preis mehr erzielen lässt. Die Folge ist ihre gefährliche Kostenlos-Ideologie. Die Piraten setzen das Urheberrecht aufs Spiel, den Schutz der intellektuellen und kreativen Leistung, weil die Ökonomik ihnen den Wert der Wertschöpfung nicht vermittelt hat. Sie graben mit Intensität an ihrem eigenen Grab.
    Auf all diese Entwicklungen und Fragen antwortet die Ökonomik, die Lehre von der Ökonomie, mit Beschwörungsformeln von Wachstum und Wettbewerb, obwohl die Realität sie widerlegt. Die Realität hat deshalb Bewegungen hervorgebracht, die anprangern, aber nicht wirklich sagen, wohin die Reise gehen soll. Denn sie wissen es nicht. Die Piraten vermuten es nicht einmal: »Wir haben auf viele Fragen keine Antwort.«
    Die occupy-Wall-Street-Bewegung beruht auf der Vermutung, dass im Finanzsektor die Ursache des Übels steckt, weshalb sie den Marsch auf die Wall Street begonnen hat. Wenn man die Milliarden(!)-Gewinne der Finanzspekulanten betrachtet, kann an der Vermutung nicht sehr viel falsch sein. Die Bewegung ist gesichtslos beziehungsweise versteckt sich hinter einer Maske. Hätte sie einen Führer, müsste dieser sagen, wohin die Reise gehen soll. Er müsste begründen und sich streiten, mit denen, die die Welt der Ökonomie beherrschen. Aber es gibt keinen Führer, weil es unter ihnen niemanden gibt, der eine schlüssige Antwort hat auf die Fragen der Zeit. Deshalb wird nur der Missstand angeprangert, die Schieflage, die Notlage, aber es gibt keine Forderungen, die sich politisch umsetzen ließen. Empörung über den Zustand und die Entwicklung kennzeichnet die Bewegung. »Empört Euch!« ist Buchtitel ihrer Bibel in Europa. Und Piraten wie auch die occupy-Bewegung versuchen es – schon wieder mal – mit Basis-Demokratie, obwohl diese mit dem Sozialismus schon untergegangen schien. Deshalb geht es darum, neue Antworten zu finden, diesen Bewegungen neue Antworten zu geben, damit der Rückfall in die verhängnisvollen basisdemokratischen Muster vermieden wird.
    Ursachenforschung ist der Anfang. Einer Ist-Aufnahme muss eine Begründung folgen. Weshalb ist der Zustand so, wie er ist, und wo sind die Ursachen dieser Entwicklung zu suchen? Welches sind die geistigen Konzepte, die die Gegenwart begleiten und die den jetzigen Zustand herbeigeführt haben? Und am Ende werden die entscheidenden Fragen gestellt: Wie kann man die Fehlentwicklung berichtigen? Wie lautet die geistige Grundlage dazu, das geistige Konzept? Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es zu Beginn einer kursorischen Beleuchtung der deutschen Wirtschaftsgeschichte und der parallel dazu verlaufenden Ideengeschichte. Danach folgen neue Erkenntnisse über das, was Marktwirtschaft, Kapitalismus und Geld wirklich sind. »Gefahr erkannt, Gefahr gebannt« lautet sodann die Devise. Wenn wir endlich sehen, wie Wirtschaft wirklich funktioniert, können wir sie auch erfolgreich gestalten. Erst wenn wir die falschen Theorien und Ideologien entzaubert haben, sehen wir den richtigen Weg.
    1 Detlef Gürtler: »Die Maximalisten«, Die Welt , 11. April 2012.

1. Geschichte der Sozialtheorien (occupy history)
    W elche Bedeutung das deutsche Denken wirtschaftspolitisch in den vergangenen zweihundert Jahren in der Welt bekommen hat, lässt sich am besten aus seinem größten Negativbeispiel, dem sozialistischen Marxismus betrachten, vom Deutschen Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts ersonnen und bis heute wirksam. Noch heute leiden Millionen von Menschen in Nordkorea und auf Kuba unter der Knute dieser Ideologie. Hunderte von Millionen haben gravierende Fehlentwicklungen ihres persönlichen Schicksals bis hin zu Folter und Ermordung ertragen müssen. An Milliarden von Menschen sind in China und der ehemaligen Sowjetunion jahrzehntelang die Segnungen der industriellen Zivilisation vorübergegangen. Der größte Verbrecher aller Zeiten, Adolf Hitler, war mit seinem National-»Sozialismus« zugleich erfolgreichster Trittbrettfahrer – eben auch in Deutschland.
    Es geht hier nicht darum,