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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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erkundigen Sie sich jetzt.«
    »Warum sind Sie hier, Madame Deverià?«
    »Um zu genesen.«
    Neuerliche Verlegenheit, neuerliche Stille. Bartleboom nimmt die Tasse und führt sie zum Mund. Leer. Dann eben nicht. Er stellt sie wieder hin.
    »Wovon genesen?«
    »Von einer merkwürdigen Krankheit. Ehebruch.«
    »Wie bitte?«
    »Ehebruch, Bartleboom. Ich habe meinen Mann betrogen. Und mein Mann meint, daß das Meeresklima die Leidenschaft einschläfert, daß der Anblick des Meeres das ethische Bewußtsein beflügelt und die Einsamkeit des Meeres dazu führt, daß ich meinen Geliebten vergesse.«
    »Tatsächlich?«
    »Tatsächlich was?«
    »Sie haben tatsächlich Ihren Mann betrogen?«
    »Ja.«
    »Noch etwas Tee?« 
     
    Am äußersten Rand der Welt gelegen, einen Schritt nur vom Ende des Meeres entfernt, duldete die Pension Almayer auch an jenem Abend, daß die Finsternis die Farben ihrer Mauern nach und nach verblassen ließ: wie auch die der ganzen Erde und des gesamten Ozeans. Er schien – so einsam daliegend – wie etwas Verlorengegangenes. Fast so, als sei eines Tages eine Prozession von Pensionen jeder Sorte und jeden Alters am Meer entlang dort vorbeigezogen. Eine hatte sich dabei von den anderen gelöst und war erschöpft zurückgeblieben. Sie ließ die Mitpilger weiterziehen und beschloß, der eigenen Schwäche nachgebend, auf dieser Andeutung eines Hügels haltzumachen und mit gesenktem Kopf auf das Ende zu warten. So eine war die Pension Almayer. Sie war von jener Art Schönheit, zu der nur Unterlegene fähig sind. Und sie besaß die Reinheit der Schwachen. Und die vollkommene Einsamkeit dessen, was verlorenging.
    Plasson, der Maler, war soeben an Land gekommen; mit seinen Leinwänden und Farben saß er durchnäßt am Bug des kleinen Bootes, das ein rothaariger Junge gerudert hatte.
    »Danke, Dol. Bis morgen.«
    »Gute Nacht, Herr Plasson.«
    Wie es kommt, daß Plasson nicht längst an Lungenentzündung gestorben ist, bleibt ein Wunder. Wie kann er Stunde um Stunde im Nordwind stehen, mit den Füßen im Wasser und der Flut, die ihm die Hosenbeine hinaufsteigt, ohne früher oder später zu sterben?
    »Erst muß er sein Bild fertig malen«, hatte Dira festgestellt.
    »Er wird es nie fertig bekommen«, meinte Madame Deverià.
    »Dann wird er auch nie sterben.«
    Im Zimmer Nummer 3, im ersten Stock, erleuchtete der sanfte Schein einer Petroleumlampe Professor Ismael Bartlebooms schöne Hingabe und ließ sein Geheimnis rings in den Abend verrinnen. 
     
    Meine Angebetete, 
    Gott weiß, wie sehr ich in dieser trübsinnigen Stunde die Ermunterung durch Ihre Anwesenheit und Ihr aufheiterndes Lächeln vermisse. Die Arbeit ist ermüdend, und das Meer sträubt sich gegen meine beharrlichen Versuche, es zu begreifen. Ich hätte nicht gedacht, daß es so schwierig ist, ihm gegenüberzustehen. Und mit meinen Instrumenten und meinen Heften irre ich umher, ohne den Anfang dessen zu finden, was ich suche, einen Zugang zu irgendeiner Antwort. Wo beginnt das Ende des Meeres? Oder vielmehr: wovon sprechen wir, wenn wir ›Meer‹ sagen? Sprechen wir von dem mächtigen Ungeheuer, das alles zu fressen imstande ist, oder von der Welle, die perlend unsere Füße umschäumt? Vom Wasser, das man in der hohlen Hand halten kann, oder von dem für niemanden sichtbaren Abgrund? Sagen wir alles mit dem einen Wort, oder verbergen wir alles in dem einen Wort? Da stehe ich, einen Schritt vor dem Meer, und kann nicht einmal erfassen, wo es ist. Das Meer. Das Meer.
    Heute habe ich die Bekanntschaft einer wunderschönen Frau gemacht. Seien Sie aber nicht eifersüchtig. Ich lebe nur für Sie.
    Ismael A. Ismael Bartleboom
     
    Bartleboom schrieb mit einer heiteren Leichtigkeit, ohne je innezuhalten, und mit einer Bedächtigkeit, die durch nichts zu erschüttern war. Er liebte es, sich vorzustellen, daß sie ihn eines Tages in der gleichen Weise liebkosen würde.
    Im Halbdunkel glitten Ann Deveriàs lange schmale Finger, die mehr als einen Mann verrückt gemacht hatten, über die Perlen ihrer Halskette – Rosenkranz des Verlangens –, eine unwillkürliche Geste des üblichen Zwiegesprächs mit ihrer eigenen Trübsal. Sie betrachtete das dahinsiechende Flämmchen in der Lampe, tete ab und zu ihr vom Aufseufzen der verzweifelt zukkenden kleinen Schimmer erhelltes eigenes Gesicht im Spiegel. Sie nutzte das letzte Flimmern, um zu ihrem Bett zu gehen, in dem unter den Decken ein wunderschönes Kind schlief, weit entfernt von Zeit und Raum. Ann

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