Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
Donnerstag.«
»Und Sie haben mit ihm gestritten.«
Sie nickte.
»Um was ging der Streit?«
»Um etwas Persönliches.«
»Persönlicher als die Tatsache, daß Sie keine Kinder mehr bekommen können?«
»Ja. In meinen Augen ja«, sagte sie. Außerdem habe sie Scha'ul nie davon erzählt.
Was könnte in ihren Augen persönlicher sein als eine gynäkologische Behandlung, überlegte Michael fieberhaft, als hinge sein Leben davon ab, daß er das herausbekam. Er dachte an ihr Leben, an ihre Arbeit an der Fakultät, an ihre gesellschaftliche Zurückhaltung, die ihr sogar Fahrten mit dem Autobus verbot, auch an ihre Genügsamkeit beim Essen, das aus Joghurt und Obst bestand, er dachte an ihre eintönige Garderobe, die sich nicht mit den Jahreszeiten farblich veränderte, und an die Informationen über eine frühere psychiatrische Behandlung, die von Balilati stammte – viermal in der Woche, hatte Balilati gesagt, und mit dem Taxi hin und zurück –, und an ihre Einsamkeit. Vor allem an ihre Einsamkeit. Du verlierst den Rhythmus, dachte er, fühle dich in sie ein. Frage dich nicht, was nach ihren Maßstäben persönlicher ist, frage, was für sie persönlich ist.
Mit einer schnellen Bewegung zog er die schwarze Mappe aus der Schreibtischschublade.
»Ich nehme an, daß er Ihnen die größte Verletzung durch seine Reaktion auf das da zugefügt hat«, sagte er und hielt ihr die Gedichte hin.
Sie umklammerte die Mappe und sagte kein Wort.
Ich habe sie gelesen. Sie sind schrecklich. Sie haben mich verwirrt, dachte Michael, aber laut sagte er: »War es seine Kritik an den Gedichten, die Sie so wütend gemacht hat, daß Sie auf ihn einschlugen? War es die Demütigung, die er Ihnen entgegengeschleudert hat, die Sie den Kopf verlieren ließ? «
Sie weinte geräuschlos. Ein Weinen, das mir das Herz brechen sollte, dachte Michael. »Sie müssen mir antworten«, sagte er in scharfem Ton.
Sie habe ihn nicht geschlagen, sagte sie. Sie sei am Donnerstag morgen bei ihm im Zimmer gewesen. Draußen habe Ruchama Schaj gewartet, er könne Ruchama ja fragen, wie sie ausgesehen habe, als sie aus Tiroschs Zimmer gerannt kam. Sie habe die Gedichte in seinem Zimmer gelassen, weil sie unfähig gewesen sei, ihn eine Sekunde länger anzusehen. Sie sei wie erstarrt gewesen, sagte sie. Noch nie habe sie sich gegen Verletzungen mit Gewalt wehren können, sie weiche solchen Situationen aus, und nie, wirklich noch nie, habe jemand sie so beleidigt wie Tirosch, als er über ihre Gedichte sprach. Er habe hinter seinem Schreibtisch gesessen und sich wirklich bemüht, freundlich zu sein, sagte sie, und das allein habe sie schon als Beleidigung empfunden. Noch nie habe sie die Gedichte irgend jemandem gezeigt, sagte sie unter Schluchzen, auch Klein nicht. Eigentlich habe sie erst im letzten Jahr angefangen zu schreiben, und sie habe einfach nicht gewußt, ob ihre Gedichte gut seien. Zuerst habe Tirosch versucht, rücksichtsvoll zu sein, aber er war nun einmal scharfsinnig und kritisch, selbst wenn er rücksichtsvoll sein wollte. Zum Schluß sagte er ungeduldig: »Du hast keine Zukunft. Du kannst nicht schreiben. Eine Frau braucht eine Gebärmutter, um schreiben zu können.« Sie hätte ihn vielleicht geschlagen, wenn sie Kraft gehabt hätte, so aber war ihr erster Impuls, aus dem Fenster ihres Zimmers im sechsten Stock zu springen.
Michael ließ den Blick nicht von ihr. Er hörte jedes Wort und sah die Szene genau vor sich. Ein paarmal fragte er sich, ob er die Geschichte glaubte, die sie erzählte. Er konnte sich diese Frage nicht beantworten. Sie sah völlig erschöpft aus. Zwei Fragen habe er noch, sagte er.
Und wieder, wie ein Blitz, erschien Angst auf ihrem Gesicht.
Ob Tirosch versucht habe, sie noch einmal zu verführen? »Ja«, antwortete sie. »Er hat es versucht, doch ich habe ihn abgewiesen. Er war wütend auf mich, aber es hat nicht lange angehalten.«
Die zweite Frage war, ob sie den Satz »Auch wenn es nur wenig ist, was ich geben kann, so steht es für das, was ich geben müßte« erklären könne.
»Was? Was soll ich erklären? Wovon sprechen Sie?« Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, sie blickte ihn verständnislos an. »Ich verstehe die Frage nicht«, sagte sie schließlich.
Nicht mehr »Was meinen Sie?«, dachte Michael. Jetzt ist sie ehrlich, als sei alles bereits gesagt. Oder vielleicht ist sie nicht ehrlich, vielleicht falle ich wieder einmal auf die Nase mit meiner Intuition.
Zögernd sagte er: »Vielleicht wissen Sie
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