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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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ich liebe ihn persönlich, wegen irgend etwas. Ich sagte ihm ausdrücklich: ›Nichts wird mich zurückhalten, dich bloßzustellen, aber ich will, daß du anerkennst, daß die Kunst größer ist als wir beide, und daß die Wahrheit größer ist als wir beide. Ich will, daß du das von dir aus zugibst. Dich habe ich nicht geliebt. Du bist nicht wichtiger als andere.‹ Und dann hat er mich sehr ernst angeschaut und gesagt: ›Ich bin nicht bereit, irgend etwas vor irgend jemandem zuzugeben, und du läßt die Kassette hier bei mir. Du wirst auch nichts aufdecken, du wirst die Sache einfach vergessen.‹ Und da habe ich die Figur genommen, schnell, bevor er verstehen konnte, was geschah. Er stand am Fenster und schaute hinaus, das war eine Pose, die er besonders liebte, und drehte mir das Gesicht zu, und dann habe ich immer wieder auf ihn eingeschlagen, weil er nicht unterscheiden konnte zwischen Wichtigem und Unwichtigem, und weil er die Kassette zerstören wollte und weil er nichts bekennen wollte.«
    »Aber das ist es, was Sie selbst auch getan haben, danach. Sie haben die Kassette zerstört, nur damit nichts rauskommt. Sie haben die Wahrheit nicht ans Licht gebracht«, sagte Michael Ochajon müde.
    »Und das ist der Hauptgrund, warum ich mit Ihnen spreche. Ich werde nur deshalb ins Gefängnis gehen, damit die Wahrheit ans Licht kommt«, sagte Tuwja Schaj und begann zu zittern.
    »Und nachdem Sie ihn umgebracht hatten, sind Sie ins Kino gegangen?« fragte Michael ohne Erstaunen.
    Er stellte sich vor, wie Tuwja Schaj das Gebäude verlassen hatte, ohne auch nur an Angst zu denken. Auf seiner Kleidung war kein Blut, er steckte die Statue in eine Plastiktüte und nahm die Kassette aus dem Recorder. Er sagte aus, daß von diesem Moment an seine Gefühle wie gelähmt gewesen seien, »wenn ein Feuer ausgebrochen wäre, wäre ich einfach dort stehengeblieben«, sagte er. Er machte sich nicht die Mühe, sich zu verstecken, und niemand bemerkte ihn. Als er Tiroschs Zimmer verließ, war es schon nach halb zwei, und er nahm das Auto und fuhr zum Parkplatz des Krankenhauses. Erst nachdem er die Kassette im Auto noch einmal angehört hatte, löschte er sie. Inzwischen war es schon spät, fast zu spät für den Film. Er wischte mit einem weichen Lappen, den Tirosch im Handschuhfach aufbewahrte, die Fingerabdrücke ab. Das Tuch warf er später weg.
    »Sie hätten nach Hause gehen können, nicht wahr?« fragte Michael.
    »Ich habe nicht daran gedacht«, sagte Schaj erstaunt. »Ich weiß gar nicht, warum ich mir Blade Runner anschauen mußte.« Dann schwieg er.
    Die Protokollierung des Geständnisses dauerte Stunden. Tuwja Schaj bestand darauf, seine Motive selbst zu formulieren. Er kehrte mit ihm in Tiroschs Zimmer auf dem Har haZofim zurück und rekonstruierte den Verlauf der Dinge zur Zufriedenheit Imanuel Schorrs, der das Zimmer gerade noch rechtzeitig betrat, um die letzten Worte Tuwja Schajs zu hören.

    Zila warf Balilati einen warnenden Blick zu, der, wie es seine Art war, vorschlug, »in irgendeiner tollen Kneipe das Ende der Sache« zu feiern, sie wußte, in welcher Stimmung Michael Ochajon war. »Du kannst in ein paar Tagen mit ihm sprechen«, sagte sie mit einem Blick auf Michael. »Jetzt laß ihn in Ruhe, tu mir den Gefallen.«
    Am Abend saß Michael mit Schorr im Café Nave. Schorr hatte sich Tee bestellt und rührte den Zucker um. Michael starrte in seine Kaffeetasse.
    »Woran denkst du jetzt?« fragte Imanuel Schorr und lächelte.
    Michael gab keine Antwort. Er hielt die Glastasse mit beiden Händen umklammert und starrte weiter hinein.
    »Übrigens, ich habe vergessen, dich zu fragen«, sagte Schorr, »was hatte der Zettel auf Tiroschs Schreibtisch zu bedeuten? Hast du das herausbekommen? Das mit dem letzten Kapitel, von dem du mir erzählt hast. Verstehst du es jetzt?«
    Michael schüttelte den Kopf und schwieg weiter. Er hatte keinem Mitglied der Sonderkommission von Manfred Herbst und der Krankenschwester Schira erzählt. Er war bedrückt und müde. Wie immer hatte er nicht das Gefühl, gesiegt zu haben. Er war nur traurig und hatte Sehnsucht, sich an eine Frau zu schmiegen und zu schlafen, jahrelang.
    Schorr betrachtete ihn über sein Teeglas hinweg und sagte schließlich: »Ich wollte es dir schon seit einiger Zeit sagen: Als jemand, der daran glaubt, daß ein Mensch andere Menschen lieben muß und daß es besser ist, zu lieben als geliebt zu werden, bist du ein ziemlicher Versager.« Seine Stimme war frei von

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