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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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ihrer Eltern.
    »Und wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    Sie senkte den Kopf, wie Juval als Kind, wenn er sich störrisch weigerte zu essen, drehte den Kopf nach links. »Um es ganz einfach auszudrücken«, sagte sie leise, »das geht Sie nichts an.« Mit zitternden Händen zündete sie sich eine Zigarette an. Wieder fielen ihm ihre dünnen Finger mit den Nikotinflecken auf.
    »Wir haben Fingerabdrücke von Ihnen in seinem Zimmer gefunden«, warnte Michael.
    »Was beweist das schon? Daß ich irgendwann mal in seinem Zimmer war.«
    »Und am Freitag waren Sie nicht in seinem Zimmer?«
    Sie blickte ihn an. »Das habe ich bereits gesagt.«
    Michael spielte mit einem abgebrochenen Streichholz und bemühte sich, einen väterlichen Gesichtsausdruck anzunehmen.
    »Ich wünschte«, sagte er, »Sie hätten ein bißchen mehr Vertrauen zu mir.«
    »Und warum? Vielleicht, weil Sie mein Bestes wollen?« fragte sie kühl.
    Er lächelte geduldig und erfahren. »Sie tun mir leid«, sagte er leise und mit der notwendigen Intimität, »all diese schrecklichen Erfahrungen, die Erniedrigungen, die Sie durch Tirosch erleiden mußten.«
    »Was meinen Sie?« fragte sie, und ihre weiße Haut bekam einen rosafarbenen Schimmer.
    »Soll ich Sie wirklich daran erinnern?«
    Sie schwieg.
    »Ich meine die Heirat und die Scheidung, die Abtreibung und...«
    »Woher wissen Sie das?« Jetzt wurde ihr Gesicht rot, und ihre Stimme klang erstickt. »Hat Arie Klein es Ihnen erzählt? «
    Michael lächelte traurig. »Er hat es mir nicht mehr erzählen müssen.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, sagte sie, aber er konnte ihre Tränen sehen, bevor sie den Kopf senkte.
    »Ich weiß, daß es Jahre her ist, aber solche Demütigungen kann man bestimmt schwer vergessen.«
    Sie schwieg.
    »Ich verstehe auch«, fuhr Michael fort und wählte sorgfältig jedes Wort, »Ihr Unglück über die Tatsache, das Sie infolge der damaligen Ereignisse keine Kinder bekommen können.«
    Sie hob den Kopf. »Woher können Sie solche Dinge wissen?« fragte sie erschrocken. Ihre Lippen verzogen sich.
    »Ich versuche mir vorzustellen, wie Sie sich gefühlt haben. Der Kummer und vor allem die Demütigung. Sie sind nicht der einzige Mensch, den Scha'ul Tirosch gedemütigt hat, falls Ihnen das Erleichterung bringt.«
    Sie antwortete nicht. Ihr weißes Gesicht war ihm zugewandt. Er las in ihm Angst und eine schreckliche Wut. Sie bewegte sich nicht, sie schaute ihn nur an.
    »Ich kann mir ein Gespräch zwischen Ihnen vorstellen. Er hat Sie auf seine beherrschte, kultivierte Art gedemütigt, vielleicht haben Sie ihm sogar von der gynäkologischen Behandlung erzählt, der Sie sich unterziehen mußten, und er, wie immer, reagierte zynisch. Was hat er Ihnen gesagt? Daß es ohnehin nicht zu Ihnen passe, Mutter zu werden? Daß Sie ohnehin keine richtige Frau sind? Was hat er gesagt, was Sie dazu gebracht hat, auf ihn einzuschlagen, zu wünschen, daß er stirbt?«
    Sie erhob sich und rannte zur Tür. Michael gelang es, sie zurückzuhalten, als sie die Hand schon auf der Klinke hatte. Er löste ihre Hand, Finger um Finger, packte ihren dünnen Arm mit festem Griff, führte sie zum Stuhl zurück und drückte sie darauf. Ich habe mich nicht geirrt, dachte Michael und gestattete sich für einen Moment das Gefühl des Triumphs, bevor er weitersprach.
    Sie saß schlaff da, als habe sie jeden eigenen Willen verloren. Er wußte, daß er sich nicht mehr lange bemühen mußte.
    »Was hat er zu Ihnen gesagt? Es ist sinnlos, von hier wegzulaufen, das wissen Sie auch. Was hat er Ihnen gesagt, als Sie in seinem Zimmer waren, das Sie so wütend machte, daß Sie mit der Statue auf ihn losschlugen?« Er überlegte, ob er an dieser Stelle etwas über Totschlag im Gegensatz zu geplantem Mord sagen sollte. Er entschied sich, es nicht zu tun.
    »Es war schrecklich, wie er stürzte, und es war schrecklich, ihn so zurücklassen«, stellte er fest, als wäre er dabeigewesen.
    Sie blickte ihn an, schüttelte den Kopf und zog schließlich aus ihrer kleinen Ledertasche, die über der Stuhllehne hing, ein besticktes Taschentuch und putzte sich geräuschlos die Nase. Es war viele Jahre her, daß Michael eine Frau gesehen hatte, die sich mit einem bestickten Taschentuch wie ein braves Mädchen die Nase putzte.
    Er wollte gerade die Frage wiederholen, da sagte sie noch leiser als sonst, sie habe ihn nicht geschlagen.
    »Aber Sie waren in seinem Zimmer«, stellte Michael fest. »Ja, aber nur am

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