Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
mit den Heften und dann Michael an. Seine Atemzüge wurden kürzer. »Er hat mir nichts davon erzählt. Gabi hat mich nicht eingeweiht. Aber es ist von Vivaldi. Mit Sicherheit ist es von Vivaldi. Und es lag in Theos Büro, in der Partitur der ›Trojaner‹.«
»Was ich seinen Worten entnehme«, sagte Nita beharrlich, »er sagt es nicht direkt, Isi, aber das ist es, was ich seinen Worten entnehme, daß Theo deshalb Vater und Gabi ermordet hat.« Sie ignorierte völlig die Vivaldi-Frage und nahm die Augen von Michael, über den sie voller Kälte und Verachtung sprach, als wäre er ein Todfeind.
Isi Maschiach wurde blaß. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Ein schwaches Pfeifen lag nun in seinen Atemzügen.
»Was sagst du dazu, Isi? Du hast Gabi geliebt, was sagst du dazu?« Ihre Stimme war entschlossen und kühl.
»Ich habe ihm nichts Böses getan«, sagte Isi Maschiach bestürzt. »Ich hatte nicht die Absicht. Sie haben mir Vivaldi gezeigt. Wer konnte ahnen, wohin das führen würde ... ?«
»Er behauptet, daß Theo an dem Tag vor dem Konzert gar keine Frau getroffen hat. Er sagt, daß Theo ... Die Schnur, die Saite, er behauptet ...« Ihre Stimme brach. Sie sah Michael an. Schmerz und Haß mischten sich in ihren Blick.
Ich war es nicht, wollte eine Stimme in ihm ausbrechen und zu ihr sprechen, es ist ein Zufall. Aber er hielt sich zurück und schwieg.
Als ob sie seine Gedanken gehört hätte, sagte sie – ihre Augen waren zur Seite gerichtet, sie sah ihn nicht mehr an –: »Du bist nicht schuld. Nur hinterhältig ... Es tut nichts mehr zur Sache«, winkte sie ab. »Du hast nur deine Arbeit getan.«
Isi Maschiach setzte sich, fiel nahezu auf den Stuhl, neben dem Michael stand. »Ich weiß nicht«, flüsterte er. »Es ist wirklich kaum zu glauben. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
»Dafür! Dafür?« Sie zeigte auf das Manuskript. »Da für? Theo, Gabi mit einer Cellosaite? Unseren Vater? Dafür?!«
»Nita«, flüsterte Isi Maschiach mit hektischen Atemzügen. »Das ist ein Requiem von Vivaldi!«
»Es war wirklich nicht nur deswegen«, sagte Michael.
»Er sagt«, ignorierte sie ihn, »daß Theo krankhaft eifersüchtig war auf Gabi, schon immer. Und auf mich. Und er konnte es Vater nicht verzeihen, daß er Gabi mehr liebte. Er sagt auch, Vater hätte auch mich geliebt. Und dann schwieg er. Er ließ mich allein zu der Schlußfolgerung kommen, daß Theo auch mir etwas antun könnte. Als wäre er ein gefähr licher Wahnsinniger. Oder so etwas. Eine Art Macbeth. Was meinst du, Isi? Kann das sein?«
»Es gibt nur einen einzigen Menschen, der dir das beant worten kann. Und er ist vor allem dir eine Antwort schul dig. Er schuldet dir eine Antwort. Du bist die einzige, der er eine Antwort schuldet«, sagte Isi mit einer klaren Stimme. »Und von dem Moment an, in dem der Verdacht aufkam, wirst du ohnehin keine Ruhe mehr haben, und ich auch nicht, und auch sonst keiner.«
»Ich wünschte, ich wäre tot. Ich wünschte, ich würde tot umfallen«, sagte Nita.
Isi sah Michael ratlos an, Michael machte ein Zeichen mit dem Kopf, und Isi Maschiach verließ leise das Büro.
»Behandle mich nicht, als wäre ich irgendeine Geisteskranke«, warnte ihn Nita, die den Kopf hob, als die Tür ins Schloß fiel. »Es gibt verfluchte Familien, das sind nicht die Worte einer Geisteskranken.«
»Ich glaube nicht, daß auf Familien Flüche lasten«, sagte Michael Ochajon. »Ich berücksichtige die ganze Zeit, daß jeder zu allem fähig ist. Das habe ich im Leben oft genug er fahren. Denkst du, daß es innerhalb einer Familie keinen Haß gibt? Denk nur an die Schilderungen der Pest im Mittelalter. Wie Mütter ihre Säuglinge zurückließen und von ihnen wegliefen, sobald sie die Zeichen der Krankheit entdeckten. Liebten sie etwa ihre Kinder nicht? Ehemänner verließen ihre Frauen, Frauen die Ehemänner, Liebhaber die Geliebte, Kinder die Eltern, sie liefen weg, um zu überleben. Selbst wenn sie ohnehin keine Überlebenschance mehr hatten. Alles brach auseinander, weil etwas so Grauenvolles sie bedrohte. Schlimmer als jede Liebe oder Hingabe oder Verantwortung. Nichts auf der Welt ist sicher. Man kann nicht wirklich meinen, etwas wäre für die Ewigkeit. Es tut mir sehr leid, daß ich es bin, der diese Nachricht überbringt. Aber glaube mir – du kannst nicht leben, ohne die Wahrheit zu kennen.«
»Ich wünschte, ich hätte dich nie kennengelernt«, sagte sie plötzlich und schlug einen klagenden Ton an. »Ich
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