Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
anschließen würde und Imanuel Schorer anriefe, würde das Ganze mit einer weiteren Einladung zu einem Feiertagsessen in Familie enden. Am Telefon würden sie ohnehin kein tiefgründiges Gespräch führen können. Er würde Schorer nur einen zusätzlichen Beweis für dessen Behauptung liefern, daß Michael unmöglich weiterhin allein leben konnte.
»Was schlägst du vor?« hatte Michael ihn bei ihrem letzten Treffen wütend gefragt. »Willst du mir eine Therapie vorschlagen?« verspottete er ihn, nachdem Schorer die Anzeichen aufgelistet hatte, die er »Deformationen, die auf dauernde Einsamkeit zurückzuführen sind«, nannte.
»Gute Idee«, meinte Schorer mit dem Ausdruck eines »du kannst mir keine Angst einjagen«. »Ich halte zwar nichts von Psychologen, aber schaden können sie sowieso nur deinem Geldbeutel. Warum also keine Therapie?«
Ohne auf eine Antwort zu warten hatte Schorer ergänzt: »Von mir aus kannst du dir aus dem Kaffeesatz lesen lassen. Hauptsache du etablierst dich endlich. Ein Knabe in deinem Alter! Du bist fast fünfzig.«
»Siebenundvierzig«, hatte Michael ihn korrigiert.
»Das macht keinen Unterschied. Was habe ich gesagt. Selbstsüchtig. Geht keine Bindungen ein. Läßt sich mit allen möglichen ... ein, einerlei.«
»Was ist einerlei, nichts ist einerlei«, hatte Michael insistiert, »von welchen möglichen redest du?«
»Von den verschiedensten Unmöglichen, von verheirateten und unverheirateten, vor allem von solchen, bei denen nichts herauskommt, sogar von Awigail ... wie auch immer. Ein Mensch braucht eine Familie!« hatte er bestimmt.
»Wozu eigentlich?« hatte Michael gefragt, um irgend etwas zu sagen.
»Was heißt hier wozu?« hatte Schorer konsterniert gefragt. »Der Mensch braucht sie einfach, was weiß ich, man hat noch keine bessere Lösung gefunden, man braucht Kinder, man braucht einen Rahmen, so will es die menschliche Natur.«
»Ich habe schon ein Kind.«
»Er ist kein Kind mehr. Ein langer Lulatsch, der sich in der Welt herumtreibt und in Südamerika nach sich selber sucht. Er ist kein Kind mehr.«
»Er ist schon bis nach Mexico City gekommen.«
»Tatsächlich? Gott sei Dank!« hatte Schorer mit sichtbarer Erleichterung gesagt. »Wenigstens ein Ort mit Zivilisation.«
Plötzlich war er aufgebraust: »Du weißt schon, was ich meine. Bring mich bloß nicht dazu, dir eine Rede über den Schutz der Familie zu halten. Der Mensch braucht jemanden, mit dem er sprechen kann, wenn er nach Hause kommt. Nicht nur die nackten Wände. Nicht nur Weibergeschichten. Mann, du bist schon mehr als zwanzig Jahre geschieden. Es ist zehn Jahre her, seit du eine feste Beziehung hattest, wenn man von Awigail einmal absieht. Wie lange willst du noch warten? Ich dachte, daß man bei einem Studium, jedenfalls in zwei Jahren Uni, Leute kennenlernt ...«
Michael hatte geschwiegen. Er hatte bisher nichts von Maja erzählt, und bis zu dieser Stunde war es Michael nicht klar, was Schorer über sie wußte.
»Ich will nicht einmal behaupten, daß du schlecht aussiehst«, hatte Schorer vorsichtig hinzugefügt, »es ist nicht, daß du dicker oder kahl geworden bist. Es stimmt, daß du bei Frauen gut ankommst. Wie ich höre, brauchen dich sämtliche Weiber weit und breit kaum anzusehen, und schon wollen sie ...« Sein Arm war in einer unklaren Geste durch die Luft gekreist.
»Wollen was ... ?« hatte Michael ironisch gefragt. Wieder beschlich ihn der Verdacht, daß vielleicht auch simpler Neid und nicht nur die Sorge um den Freund die Ruhe seiner Mitmenschen störte.
»Was weiß ich? Sie wollen halt! Das ist eine Tatsache. So gar die neue Tippse. Wie alt ist sie denn, gerade mal fünfund zwanzig, sieht aus wie ein Teenager, hübsch, was?«
Er hatte die Augen gerollt. In diesem Moment erinnerte Schorer Michael an Balilati. Er fragte sich, warum bei die sem Thema beide im gleichen Tonfall sprachen. Was war es, das der Stimme Schorers auf einmal den Zungenschlag ei nes Zuhälters verlieh? Hatte es tatsächlich damit zu tun, daß sie fühlten, wie ihr eigenes Leben besiegelt war, während sich ihm noch grenzenlose Möglichkeiten offenbarten? In ihren Augen konnte es zumindest so aussehen. Könnte er sich ihnen öffnen, würden sie einiges über seine Ängste und Verzweiflungen zu hören bekommen.
»Du hast mich bereits gefragt, ob sie mir gefällt.«
»Sie hat sich schon über dich erkundigt«, hatte Schorer sich entschuldigt. »Sie sehen dich mit deiner guten Figur, zu vorkommend, traurig,
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