Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
zu verreisen? Sagen wir, in den Sukkotferien?«
    »Niemand hier fährt irgendwohin«, erwiderte Ada Efrati, »das ist keine Zeit für Reisen.«
    »Was denn, hört man wegen der neuen Intifada denn zu leben auf?« Balilati sah den Bauleiter mit provozierendem Blick an. »Demnach könnte man den Betrieb überhaupt zumachen, oder? Bist du aus Beit Jala?«, wandte er sich an den Bauleiter.
    »Beit Jala«, bestätigte jener.
    »Ich wohne in Gilo. Vielleicht haben sie von deinem Haus aus auf unser Viertel geschossen? Ha?«
    »Das überlassen Sie besser der Armee und der Militärpolizei«, sagte Ada Efrati und legte ihre Hand auf den Arm des Bauleiters, wie um ihn zu beschützen.
    »So sind die Linken«, schickte Balilati hinterher, als sie hinausgingen, »man spuckt ihnen ins Gesicht, kippt Scheiße über sie aus, und sie sagen – es regnet.«

Zweites Kapitel
     
     
    Dr. Solomon wischte sich die Hände an seinem Kittel ab und streifte die Gummihandschuhe über. »Ihnen zu Ehren habe ich mich fein angezogen, sehen Sie? Ihnen zu Ehren einen langen Kit tel, brandneu«, summte er in Richtung von Wachtmeister Ja’ir und zog die Ränder der Handschuhe über seinen Handgelenken straff. Danach näherte er sich dem glänzenden Tisch, auf dem die Leiche lag, und berührte den erhöhten Kopf, dessen Haar über die Nirostastütze floss. Auf der glatten Fläche, die im metallischen Licht funkelte, erinnerte die Haarmähne der Toten an die mit roten Fäden durchwirkten Seidenfransen eines schwarzen Schals. Ohne sich weiter aufzuhalten spähte der Arzt in den zerschlagenen Mund, hob danach den Kopf an und sagte: »Es sind ein paar Zähne ganz geblieben, wir haben einen Abdruck gemacht, auch von den Kiefern. Es gibt nur zwei Füllungen in den Weisheitszähnen. Wer macht heute noch Füllungen in Weisheitszähne?« Er verstummte und streckte seine rechte offene Hand in Richtung seines Assistenten aus, der sich die im bläulichen Neonlicht glänzende Stirn abwischte und ihm das Skalpell hineinlegte. Die lange spitze Klinge blitzte auf, als der Pathologe es auf der Metallablage rechts vom Kopf ablegte, zu Chassidenmelodien, die er nun vor sich hin summte. Schon davor, beim Zu rückschlagen des weißen Lakens mit einer raschen Bewegung, die die nackte Leiche entblößte, als er ihnen ihre Verspätung vorhielt, hatte er das im Singsang eines Jeschivastudenten getan, der einen Talmudabschnitt erklärt. Jetzt, als er die Stirn ganz dicht am Haaransatz entlang aufzuschneiden begann, stellte er endlich sein Gesumme ein und wurde still.
    »Wir können nichts dafür«, hatte Wachtmeister Ja’ir, als sie end lich eintrafen, gemäß Michaels Instruktionen erklärt, »das war wegen dem Amerikaner Powell und dem Feiertag. Eine halbe Stunde lang sind wir im Verkehr stecken geblieben, wir sind festgesessen wie ...«
    »Der Feiertag ist erst morgen. Juden, da ist Verlass drauf, fangen den Feiertag am Vorabend vom Feiertag an. Bloß drei Stunden habe ich wegen euch geschlafen. Warum habt ihr nicht die Sirene eingeschaltet? Wofür seid ihr Polizisten? Ich dachte immer, die Polizei ist wichtiger als ein Feiertag, geht die Polizei nicht über alles?« All diese Fragen richtete er weiter an den zerschlagenen Kopf der Leiche, deren Mund gähnend offen stand.
    »Sogar die Sirene anzuwerfen hätte nichts geholfen – alles war dicht, was heißt hier dicht«, erklärte ihm Ja’ir, die Augen auf die hellblauen Ränder des weißen Lakens geheftet, das Dr. Solomon mitsamt der Beschriftung »Gesundheitsamt des gerichtsmedizinischen Instituts« zusammengerollt hatte. »Man kann da nicht einfach dran vorbeifahren, als ob man irgendeine Ambulanz wäre, wir mussten ihnen helfen, die Straße freizuräumen, oder?« Keinerlei Verlegenheit klang in Ja’irs Stimme an wegen dieses Vorwands, da er sich bereits auf der Fahrt zum pathologischen Institut auf sämtliche Einwände eine passende Antwort ausgedacht hatte.
    »Nicht, wenn ich auf euch warte«, antwortete Dr. Solomon und warf Michael einen schnellen Blick zu, der angestrengt das verwüstete Gesicht betrachtete, den Hals, den Bauch und die schmalen Hüften, und seine Augen nicht von der Beckenrundung und dem Gewirr des dunklen Schamhaars hob. Er zog es vor, sich nicht bei Dr. Solomon zu entschuldigen, dessen braune, ins Gelbliche spielende Augen giftig und mit kühler Grausamkeit hinter den dicken Linsen seiner Hornbrille funkelten. Das Werk der Be sänftigung überließ er dem jungen Wachtmeister, dessen Unschuld und

Weitere Kostenlose Bücher