Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
Beziehung zu ihm hätte wie – und hier zögerte er einen Augenblick –, »wie du sie mit Peter hast«. Jemand versuchte, die verschlossene Tür zu öffnen, und gab auf. Michael betrachtete die kleinen Finger, die einmal auf das Laken trommelten, und wusste nicht, ob sie ihm bedeutete weiterzusprechen, oder gegen den Vergleich mit Peter protestierte. Er riskierte es dennoch und fuhr fort, wenn ihm zufällig die Schätze in die Hand fallen sollten, die ein solcher Junge oder ein solches Mädchen heimlich gesammelt hätten, würde er sie niemandem zeigen oder davon erzählen, kein Wort davon würde er verlauten lassen, zu keiner Menschenseele – sagte er, und die kleinen Finger zuckten deutlich –, und sogar wenn etwas darunter wäre, was ihnen bei der Lösung eines Mord falles behilflich sein könnte, sogar dann würde es ihm nie einfallen, auch nur irgendjemanden in das Geheimnis einzuweihen.
»Peter weiß überhaupt nichts«, sagte Nesja, und die Stimme, auf die er so lange gewartet hatte, und die er nun unverhofft, noch bevor sie ihre Augen aufmachte, zu hören bekam, war leise und schwach.
»Und er wird auch nichts erfahren, wenn du nicht willst«, versprach Michael in feierlichem Ton.
»Er hat sie umgebracht«, flüsterte Nesja, »der schöne Joram hat Zohra umgebracht«, und erst jetzt schlug sie die Augen auf, die ihn goldbraun anblickten, als hinge ihr ganzes Leben davon ab, was sie in seinen Augen fände.
»Ja«, nickte Michael, »er hat sie umgebracht, aber er wird niemanden mehr umbringen.«
Ihre zusammengekniffenen Augen blickten ihn nun misstrauisch an, und er wiederholte seine Versicherung mit einer leisen ruhigen Stimme, die keinen Einspruch duldete.
»Er hat mich gefunden«, sagte Nesja und hustete, »er hat mich im Schutzraum gefunden, und er hat auch die Tasche gefunden.«
»Aber du hast die Tasche vorher gefunden«, ergänzte Michael, »du hast schon vorher etwas gewusst.«
Sie rollte den Kopf auf dem großen Kissen hin und her und leckte sich über die Lippen, und er tauchte ein Stückchen Gaze in das Wasserglas und hielt ihr den Zahnstocher hin. Sie musterte ihn ausgiebig, bis sie ihn schließlich an die Lippen legte und saugte. »Nein, gewusst habe ich es nicht«, sagte sie dann, »ich habe nur gesehen ... ich habe sie einmal neben dem verzauberten Haus gesehen.«
»Das verzauberte Haus an der Bethlehemer Landstraße?«, wagte Michael die Vermutung.
»Sie haben mich nicht gesehen. Niemand hat mich gesehen«, sagte sie, und ein Funken von Stolz klang in diesen Worten an. »Ich war im Hof«, erklärte sie.
Er nickte, ohne sie aus den Augen zu lassen.
»Kann es sein, dass jemand jemanden umbringt, den er liebt?«, halb fragte sie, halb dachte sie laut.
»Ein Mädchen wie du«, erwiderte Michael mit behutsamer Ernsthaftigkeit, »weiß bereits, dass die Menschen, sogar Erwachsene, bisweilen die umgekehrten Dinge von dem machen, was sie fühlen oder wollen.«
»Umgekehrt? So wie nicht zeigen, dass sie jemanden lieben?« »Auch«, bestätigte Michael.
»Schon«, stimmte ihm Nesja zu, »aber nur Kinder, nicht der schöne Joram. Warum hat er das Umgekehrte gemacht?«
»Aus Angst«, erwiderte Michael, »er hatte Angst.«
»Was, hatte er Angst, dass sie es seinen Eltern und ihren erzählen würde?« Nesja schloss die Augen, und er sah den Eiter, der sich in den Winkeln gesammelt hatte.
»Er hatte auch schon ... er war schon mit einer anderen Frau verbunden, versprochen«, erklärte er ihr vorsichtig.
Nesja drehte sich auf die Seite, mit dem Gesicht zu ihm, und er rückte hastig weiter an den Rand des Bettes.
»Wegen der Braut aus Amerika«, flüsterte sie und verzerrte die Lippen, »es war wegen ihr.«
»Tut dir etwas weh?«, erschrak Michael.
»Nein, ja schon, ein bisschen, aber vorher«, verlangte sie, »vorher sagst du mir, erklärst du mir alles ... wegen der Braut aus Amerika, der blonden, ich hab’ sie gesehen. Frau Josselson hat zu meiner Mutter gesagt, dass sie reich ist.«
»Ja«, sagte Michael, »seine Mutter hat diese Braut geliebt. Das ist so, als ob du eine Freundin hättest, die deine Mutter nicht mag und von der sie nicht will, dass du mit ihr befreundet bist. Und stattdessen bevorzugt sie eine andere Freundin.«
»Gut«, sagte Nesja und legte sich ganz langsam und mühevoll wieder auf den Rücken. »Aber ich habe überhaupt keine Freundinnen, sie mögen mich nicht, die Mädchen in der Klasse.«
»Jetzt wird alles anders«, versprach ihr Michael, »jetzt bist du
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