Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
Vom Netzwerk:
ausgestreckt neben der Couch und starrte mit offenen Augen an die Decke. Ich kämpfte gegen den Drang an, mich umzudrehen und die Flucht zu ergreifen. Perverserweise war ich froh darüber, mein Frühstück bereits erbrochen zu haben. Ein Teil von mir war immer noch in der Lage, über die Einzelheiten zu staunen, die von den Nachtschatten in ihre Schöpfung eingearbeitet worden waren. Jeder Zoll von Evenings menschlicher Tarnung war tadellos wiedergegeben worden, bis hin zu den offenkundig gewaltsamen Umständen ihres Todes.
    Ich kniete mich neben den Leichnam und schaltete den analytischen Teil meines Verstandes ein, während ich den Bereich um den Körper herum absuchte. Auf dem fast weißen Teppich prangten blutige Fußabdrücke, aber die waren unvermeidlich; es gab keine Stelle, auf die man den Fuß setzen konnte, ohne in Blut zu treten. Einige der Beamten hatten sich Plastiktüten über die Schuhe gestülpt, und wenn die Mörder klug waren, hatten sie etwas Ähnliches getan. Jedenfalls wies keiner der Abdrücke ein so markantes Muster auf, dass es sich von der Masse der anderen abhob. Falls die Mordwaffe zurückgelassen worden war, hatte die Polizei sie bereits erfasst und eingetütet, bevor ich eintraf. Als ich noch Privatdetektivin gewesen war, hatte ich manchmal bedauert, nicht direkt bei der Polizei zu arbeite n – meine Aufgabe wäre um einiges einfacher gewesen, wenn ich Zugang zu handfesten Beweisen gehabt hätte. Leider hasse ich den Anblick von Blut, außerdem kann ich vormittags nicht arbeiten, somit ist eine Karriere bei der Polizei auch künftig ausgeschlossen.
    Mit einem Ruck wurde mir klar, in welche Richtung meine Gedanken wanderten. Nein. Dies war eine einmalige Sache, bei der es um Notwendigkeit ging, nicht um meine Zukunft. Dieses Leben hatte ich aufgegeben. Ich würde nicht dorthin zurückkehren.
    Es gab eine Möglichkeit, mich davon abzulenken, zu intensiv über Polizeiverfahren oder dergleichen nachzudenken. Ich stählte mich und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf das, was von Evening übrig war.
    Ihr Bademantel war weiß gewesen, als sie ihn angezogen hatte. Nun präsentierte er sich abgesehen von einigen wenigen Stellen am Ärmel in einem dunklen, bräunlichen Rot. Ich sah zwei offensichtliche Schussverletzungen, eine in der Schulter, eine im Bauch, aber keine davon hätte sie umbringen können. Sie mussten höllisch geschmerzt haben, doch sie hätte sie überlebt.
    Unter Berücksichtigung aller Umstände starb sie wahrscheinlich, als man ihr die Kehle aufschlitzte.
    Ihre Arme ruhten gerade an den Seiten, Beine und Hüften jedoch waren verdreh t – sie hatte bis zum Ende um sich getreten. Jemand hatte sie niedergedrückt, während ihr die Kehle aufgeschlitzt wurde, und sie dann weiter festgehalten, bis sie aufgehört hatte, sich zu wehren. Das bedeutete, dass es zwei Mörder geben musste, vielleicht mehr. Eines musste ich Evening lassen: Sie war nicht überrascht worden. Der Ausdruck in ihrem Gesicht zeugte von reiner Wut, die die darunterliegenden Grundmauern der Angst fast völlig übertünchte. Sie war um sich tretend gestorben, ja, aber sie war auch stinksauer gewesen.
    Das Blut war nicht das Schlimmste. Ebenso wenig der zweite Mund unter ihrem Kinn. Der erste Platz ging an das rundohrige, gewöhnliche Gesicht, das von schwarzem, mit grauen Strähnen durchzogenem und von Blut verklebtem Haar umrahmt wurde. Die Evening Winterrose, die ich gekannt hatte, besaß Züge, die wie das letzte, vollendete Werk eines sterbenden Bildhauers anmuteten: Ohren, die sich zu scharfen Spitzen verjüngten; Haar zwischen Schwarz und Violett mit rosa, orangen und blauen Glanzstellen, die an Polarlichter erinnerten. Sie war wild und schrecklich und seltsam gewesen, eine der Daoine Sidhe, der hellsten Fae. Und sie war nie menschlich gewese n – aber was die Nachtschatten hier zurückgelassen hatten, würde nie etwas anderes sein. Der Tod ließ sie nicht einmal ihr wahres Gesicht behalten.
    Etwas an dem Leichnam stimmte nicht. Ich beugte mich für einen genaueren Blick auf ihre Wunden näher hin, wusste jedoch bereits, dass sie mir nichts verraten würden. Es mag kriminaltechnische Experten geben, die sich einen Messerschnitt ansehen und alles über denjenigen zu berichten wissen, von dem er stammt, aber ich gehöre nicht dazu. Alles, was ich weiß, habe ich aus der Erfahrung gelernt, und meine Erfahrung sagte mir, dass hier etwas nicht stimmte.
    In meiner Welt gibt es zwei Arten von Problemen: die der

Weitere Kostenlose Bücher