October Daye: Winterfluch (German Edition)
weit und breit nicht zu sehen. Was auch gut so war. Meine Irreführungszauber sind nicht stark genug, um auf Film zu bestehen, und ich wollte nicht mit Blut an den Händen und Jeans aufgezeichnet werden.
Das Eisen verriet mir zweierlei: einerseits, dass Evenings Mörder Fae gewesen waren, da kein Mensch diese spezielle Waffe verwendet hätt e … und zweitens, dass ich es mit keinen der üblichen Verdächtigen zu tun hatte. Meine verletzten Empfindsamkeiten wollten sich schnurstracks auf die Vermutung stürzen, dass Simon und Oleander die Finger im Spiel hatten. Doch die beiden verließen sich zu sehr auf Magie, um so viel Eisen mit sich herumzuschleppen. Skrupel kennen sie zwar so gut wie keine, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie auch bereit wären, ihre magischen Fähigkeiten für Wochen, vielleicht sogar Monate außer Kraft zu setzen, indem sie so viel Umgang mit Eisen hatten. Dadurch würde man sie nur erwischen, und dafür waren sie zu gerissen.
Evenings Blut hatte selbst einiges preiszugeben gehabt, wenn die Erkenntnisse auch etwas verschwommener waren. Jedenfalls hatte sie vor ihrem Tod niemanden sonst angerufen; ich war die Einzige, die wusste, dass sie gestorben war, abgesehen von den Nachtschatte n – und ihren Mördern. Irgendwie bezweifelte ich, dass die Leute, die sie umgebracht hatten, die Neuigkeit verbreiten würden, dass sie gegen Oberons höchstes Gesetz verstoßen hatte n – das Verbot, Reinblütler zu töten, außer in einem formell erklärten Krieg. Und die Nachtschatten halten sich mit Konversation generell zurück. Ich kenne niemanden, der sie wirklich je zu Gesicht bekommen hat. Folglich war ich auf mich allein gestellt, und ich arbeitete gegen die Zeit, weil ich ihre Mörder finden musste, bevor ich noch in Evenings Fluch ertran k – und nicht im Teichwasser.
Doch all dies würde warten müssen, da ich unmittelbarere Pflichten zu erfüllen hatte. Riten mussten beachtet und Worte gesprochen werden, für diejenigen, die nicht gestorben waren. Reinblütler finden sich nicht leicht mit dem Tod ab. Etwas musste den schweren Schlag dämpfen. Darüber hinaus blieb die schlichte Tatsache, dass eine Frau brutal von jemandem ermordet worden war, der eindeutig um ihre wahre Natur gewusst hatte. Menschen tragen keine kalten Eisenmesser mit sich heru m – es sind schwere, klobige Dinger, und die moderne Technik ist mittlerweile so weit darüber hinaus, dass sie nur noch in Fae-Händen auftauchen. Wer auch immer Evening getötet haben mochte, er wollte gewährleisten, dass ihr Tod so qualvoll wie möglich sein würde. Dadurch wurde es zu einer Angelegenheit für ihre Lehnsherrin, und das bedeutete: Ich musste mich an einen Ort begeben, mit dem ich nicht das Geringste zu tun haben wollte: an den Hof der Königin der Nebel, der Herrscherin von Nord-Kalifornien.
Die derzeitige Königin der Nebel hatte den Thron nicht unter den günstigsten Umständen der Welt bestiegen: Sie wurde im Jahr 1906 Königin, als das große Erdbeben von San Francisco die halbe Fae-Bevölkerung der Stadt dahinraffte, unter anderem ihren Vater, König Gilad. Sie war irgendwo abseits des Hofes großgezogen worden, und niemand erfuhr je, wer ihre Mutter gewesen war. Aber Evenin g – schon damals Gräfin von Goldengrü n – unterstützte ihren Anspruch, und niemand wollte ihn ernsthaft anfechten. Seither schwingt sie das Zepter. Anfangs befand sich ihr Hof in North Beach, später, nachdem ihr erster hohler Hügel dort zerstört worden war, verlagerte sie ihren Sitz an die Bucht. Niemand kannte ihren Namen oder wusste, wo sie aufgewachsen war. Auch sonst wusste man wenig mehr über sie, als dass sie die Königin und ihr Wort Gesetz war.
Sie und ich sind nie gut miteinander ausgekommen. Sylvester und Evening waren diejenigen, die darauf bestanden, Sylvester zu gestatten, mich für die Dienste gegenüber der Krone in den Ritterstand zu erheben, als ihr ursprünglicher Hof zerstört wurde. Die Königin selbst war eher dafür, mich mit dem Rest des Wechselbalgpöbels hinauszuwerfen. Vielleicht liegt es an der Mischung ihres Blute s – ihr Erbe ist ein seltsames Sammelsurium aus Sirene, Meereswicht und Todesfee. Oder vielleicht ist sie auch bloß hochnäsig. Jedenfalls hat die Frau Wechselbälger noch nie gemocht, und mich zu adeln widerstrebte ihren Empfindlichkeiten. Sie tat es trotzdem, weil die Dienste, die ich erbracht hatte, zu groß waren, um sie zu ignorieren, und weil Evening darauf drängte. Ich glaube aber
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