Oder sie stirbt
Müll.
Ich ging die Treppe hinunter, wobei ich ein wenig Probleme hatte, auf den breiten Stufen das Gleichgewicht zu halten, dann überquerte ich die Straße und ließ mich auf den Bordstein sinken, die Füße im Rinnstein. Busse und Autos rauschten vorbei, und ein kleines trockenes Blatt flatterte über den Asphalt wie ein sterbender Vogel. Ich beobachtete es. Und dann beobachtete ich es noch ein bisschen.
»Stehen Sie auf.« Sie stand über mir im Gegenlicht. Ich war überrascht, andererseits aber auch nicht. »Wir haben viel zu tun.« Sally streckte mir die Hand hin, und nach kurzem Zögern ergriff ich sie.
Ich hatte gerade eine halbwegs stehende Position erreicht, als meine Knie unter mir nachgaben und ich mich wieder auf die Bordsteinkante sinken ließ.
»Ich glaube, ich brauch doch noch einen Moment«, sagte ich.
[home]
36
Z wei Dinge waren ausschlaggebend«, erklärte Sally, als wir über den Freeway 101 bretterten. »Zum einen hat die Überwachungskamera in der Tankstelle tatsächlich Aufnahmen von Ihnen am Verkaufstresen gemacht, die uns der Betreiber gleich mailen konnte. Das verschafft Ihnen ein Alibi für die Zeit des Einbruchs bei Conner, und wir haben einen zweiten Verdächtigen im Spiel. Das hat erst mal gereicht, um die Staatsanwältin von weiteren Schritten abzuhalten.«
Valentine war immer noch irgendwo unterwegs auf der Suche nach Elisabeta, also setzte ich mich nach vorne auf den Beifahrersitz, was mir das vage Gefühl vermittelte, wieder ein Mensch zu sein. Ich rief Ariana zum fünften Mal an, aber all ihre Nummern waren belegt. Sally hatte mir mein Sanyo zurückgegeben, nachdem sie mir erklärt hatte, dass die Clips nutzlos waren. Als ich es einschaltete, war die Mailbox randvoll mit enthusiastischen Beileidsbekundungen von so ziemlich jedem, der diese Nummer hatte. Zu viele, als dass ich sie mir alle hätte anhören können, jedenfalls nicht in meiner momentanen Verfassung.
»Außerdem«,
fuhr Sally fort, »war da noch der Computer, den Sie bei Kinko’s benutzt haben – ein Compaq. Auf dem haben wir einen ganzen Haufen Dokumente mit entsprechenden Datumsangaben gefunden, die zeigen, wie Sie das Verbrechen geplant haben, wie besessen Sie in Ihrem Hass auf Conner waren und so weiter. Das ging fast ein ganzes Jahr zurück. Mal ganz abgesehen von der Frage, warum Sie so etwas auf einem Computer im Internet speichern sollten, ist es einfach unmöglich, dass Sie diese Dokumente selbst verfasst haben.«
»Weil die Datumsangaben nicht mit den Tagen übereinstimmen, an denen ich im Internetcafé war?«
»Nein. Viel besser.« Sie erlaubte sich ein zufriedenes Lächeln. »Die Seriennummer auf dem Compaq beweist eindeutig, dass er erst am 15 . Dezember an den Kunden ausgeliefert wurde. Was bedeutet, dass er noch nicht mal existierte, als Sie angeblich Ihre belastenden Dokumente darauf geschrieben haben. Tja, sieht ganz so aus, als hätten Sie denen zumindest in einer Hinsicht ein Schnippchen geschlagen – die haben eben damit gerechnet, dass Sie Ihre Mails entweder zu Hause oder im Büro abrufen.«
»Dann steht’s jetzt ja Gott sei Dank eins zu neunundsiebzig für die Bösen.«
»Hey«, meinte sie, »das ist doch zumindest mal ein Anfang.«
Ich versuchte weiter, Ariana zu Hause, in der Arbeit und auf ihrem Handy zu erreichen. Besetzt. Keine Antwort. Mailbox voll.
Da fiel mir ein blinkendes Symbol auf meinem Handy ins Auge. Eine SMS . Noch eine Drohung? Nervös klickte ich sie an und entspannte mich erst, als ich sah, dass sie von Marcello war: SCHÄTZE , DU BRAUCHST DIESE INFO MÖGLICHST SCHNELL . Das Bild, das er mitgeschickt hatte, war ein vergrößerter Ausschnitt aus meinem Clip. Darauf konnte man die in der Windschutzscheibe gespiegelte Fahrgestellnummer erkennen, jetzt schön vergrößert und scharf gestellt. Ich schloss die Augen und bedankte mich im Stillen bei Marcello für seine Bildbearbeitungsfähigkeiten.
»Was gibt’s?«, wollte Sally wissen.
Ich hielt ihr das Handy hin, so dass sie das Bild sehen konnte. »Das ist die Fahrgestellnummer des Autos aus der zweiten Mail. Da hatten sie den Weg aus dem Auto heraus gefilmt, um mir zu zeigen, wo der Honda steht.«
Sie nahm das Funkgerät aus der Halterung, rief das Polizeirevier und gab dem diensthabenden Offizier die Fahrgestellnummer durch. Nach ein paar »M-hm, m-hm, okay« kam plötzlich ein: »Im Ernst?« Als sie das Gespräch beendet hatte, erklärte sie: »Sie wissen doch noch, dieses Mädchen, das Keith Conner im
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