Oder sie stirbt
Club kennengelernt hatte – die hatte eine Fehlgeburt. Damit wäre die Vaterschaftsklage also auch vom Tisch. Zumindest
diese
Vaterschaftsklage. Was die Fahrgestellnummer angeht, bekommen wir gleich Rückmeldung.«
»Danke«, sagte ich. »Danke, dass Sie mich ernst nehmen. Ich weiß, dass Sie damit allein auf weiter Flur sind.«
Die Reifen surrten auf der Abfahrt vom Freeway. »Lassen Sie mich eines klarstellen, Patrick. Ich mag Sie. Aber wir sind keine Freunde. Hier ist jemand ermordet worden. Kann schon sein, dass er ein Arschloch war, aber er ist in meinem Zuständigkeitsbereich ermordet worden, und das ärgert mich. Maßlos. Ich will wissen, wer ihn ermordet hat und warum – selbst, wenn Sie es gewesen sein sollten –, und nichts motiviert mich mehr als meine Neugier. Außerdem … nennen Sie mich altmodisch, aber der Gedanke, dass ein Unschuldiger hinter Gittern sitzt, macht mich wahnsinnig. Gerechtigkeit, Wahrheit, dieser ganze Mist eben. Ich weiß Ihren Dank durchaus zu schätzen, aber Sie sollten wissen, dass ich das alles nicht für
Sie
tue.«
Wir fuhren schweigend weiter. Ich blickte eine Weile aus dem Fenster, bevor ich es wieder bei Ariana probierte. Und wieder. Unser Telefon zu Hause war immer noch besetzt – hatte sie am Ende den Hörer nicht richtig aufgelegt? Zwischen zwei Versuchen klingelte plötzlich mein Handy. Gespannt blickte ich aufs Display, aber es war nur die Fakultät für Filmwissenschaft Northridge. Die riefen garantiert nicht an, um mir eine Gehaltserhöhung anzubieten. Frustriert warf ich mein Telefon aufs Armaturenbrett, wo es gegen die Windschutzscheibe knallte. Ich holte ein paar Mal tief Luft und starrte auf meinen Schoß. Dass wir mittlerweile zum Stehen gekommen waren, hatte ich gar nicht bemerkt.
Wir parkten vor einem heruntergekommenen Wohnblock in Van Nuys, der mir wohlbekannt war. Sally stieg aus, aber ich blieb sitzen und starrte auf das verbogene Tor und den Hof. WOHNUNG ZU VERMIETEN , verkündete das rostige Metallschild.
Die Zeichen waren alle schon da gewesen, ich war nur zu blind gewesen, sie zu lesen.
Sally klopfte ungeduldig auf die Motorhaube, und ich stieg aus, um schaudernd einen Blick auf das Gebäude zu werfen. Es war mir vertraut, aber nach den Geschehnissen der letzten Tage sah es irgendwie doch anders aus. Auf dem Paneel mit den Klingelschildern fehlte der Name bei Apartment Nummer 11 . Ich musste daran denken, wie ich versucht hatte, bei Beeman zu klingeln, und wie stolz ich auf mich gewesen war, als ich auf die Idee gekommen war, den Code selbst einzugeben. Ich war so stolz gewesen, dass ich gar nicht weiter über die Tatsache nachdachte, dass ich mich zu einem Apartment ohne Mieter begab, dessen Sprechanlage nicht freigeschaltet war.
Wir blieben vor dem verschlossenen Tor stehen. Sally wartete geduldig, bis mir aufging, dass sie auf mich wartete. Zitternd streckte ich einen Finger aus und gab die vier Ziffern ein. Das Tor summte, und nachdem Sally es aufgezogen hatte, bedeutete sie mir mit einer Handbewegung, vorauszugehen.
Wir gingen die Treppen hoch und standen am Ende des Gangs vor Beemans Wohnung. Da war es wieder, das altmodische Schlüsselloch, durch das ich Beemans Auge gesehen hatte.
»Ich habe den Hausverwalter telefonisch erreicht«, erklärte Sally. »Er behauptet, dass die Wohnung schon seit Monaten leer steht. Wasserschaden. Ich schätze, der Eigentümer wartet noch ein bisschen, bevor er sich an die Schimmelbekämpfung und Sanierung macht. Der Hausverwalter ist im Moment leider nicht hier, um uns reinzulassen, und einen Durchsuchungsbefehl kriege ich nicht. Wie Sie wissen, ist es ja nicht mein Fall. Leider.«
Sally legte die Hände aufs Geländer und blickte leise summend auf den Hof. Der Klassiker.
Ich drehte mich um und trat die Tür ein.
Das morsche Holz gab sofort nach. Ich stand gebückt auf der Schwelle. Leer. Keine Matratze, keine schmutzigen Klamotten, kein Fernseher mit Riesenbildschirm, neben dem praktischerweise gleich der DVD -Player steht. Nur der feuchte Geruch nach Schimmel, der Staub, den man in einem Lichtstrahl herumwirbeln sah, der Wasserfleck, der die Wand hochkroch.
Es kam mir vor, als würde ich eine Traumwelt betreten. Ich machte ein paar Schritte in die Wohnung, dann blieb ich stehen.
Dort hatte er vor dem Fernseher gekauert, seine Knie umklammert und sich vor und zurück gewiegt.
Ein Schauspieler.
Diese völlige Demütigung, die ich so stark mitgefühlt hatte. Diesen Mann hatte ich für
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