Oder sie stirbt
müssen wir ja anfangen.«
Jeder Schritt schien von strategischem Denken dominiert zu werden. Den Sender wechseln. An einer Lücke zwischen den Vorhängen vorbeigehen. Nachrichten aus der Mailbox löschen. Auf meinem voll ausgelasteten Sanyo hatte ich 72 . Die mitfühlende Julianne. Eine weinende Nachbarin. Ein Freund aus High-School-Zeiten, der seine Begeisterung nur schwer hinter einer sorgenvollen Fassade verbergen konnte. Mein Anwalt, der bestätigte, dass er das Vergleichsangebot des Studios nie bekommen hatte und jetzt natürlich kein Ton mehr aus ihnen herauskriegte – aber da wäre eben noch die Sache mit seinem ausstehenden Vorschuss. Meine Fakultätschefin, Dr. Peterson, die sich beklagte, dass meine Veranstaltungen einen kompletten Tag ausgefallen seien. »Ich muss zwar mildernde Umstände gelten lassen, aber leider haben wir immer noch Studenten, für die wir verantwortlich sind. Ich muss dich sprechen. Ich erwarte dich morgen früh um zehn.« Dann hatte sie brüsk aufgelegt.
Ich würde hingehen, und wenn es mich umbrachte. Gerade bei all dem Ärger, den ich momentan hatte, brauchte ich dringend ein Stück Normalität, an dem ich mich festhalten konnte. Ich hatte nur eine Stelle als Hilfsdozent, aber erst jetzt merkte ich, wie viel mir das bedeutete. Dieser Job hatte mich morgens zum Aufstehen gezwungen, wenn ich mich nur zu gern zusammengerollt und im Bett vor meiner Niederlage versteckt hätte. Ich verdankte ihm mehr, als ich bisher gegeben hatte. Außerdem gab er mir ein Fundament. Einen Schreibtisch und eine Funktion. Das letzte Stückchen meiner alten Identität. Wenn ich das auch noch verlor, wer wäre ich dann noch?
Ich stellte mein Handy ab und legte es auf meinen Schreibtisch an die Stelle, wo früher mein Computer gestanden hatte, bevor die Polizei ihn beschlagnahmte. Die Medienmeute vor unserem Haus war kleiner geworden, nachdem die Fotografen ihre Aufnahmen von meiner Heimkehr gemacht und die Reporter vor dem Hintergrund unseres Hauses ihren Aufsager in die Kameras gesprochen hatten. Aber einige Vans standen immer noch hoffnungsvoll herum, und die Hubschrauber drehten unermüdlich weiter ihre Runden. Es war 3.11 Uhr in der Nacht. Ich war auf eine Art erschöpft, von der ich bis dato noch nichts geahnt hatte.
Ich hatte Arianas Laptop benutzt, um Recherchen zu Ridgeline Incorporated anzustellen, hatte aber nichts Nützliches gefunden. Die Matrjoschkas. Ich zog das Rouleau hoch, starrte über die Dächer und überlegte, wer wohl gerade zurückstarrte.
Wer zum Teufel hatte mir das angetan? Saßen sie jetzt irgendwo und überschlugen sich vor Häme? Planten sie gerade ihren nächsten Schachzug, oder warteten sie einfach darauf, dass das LAPD zurückkommen und mich abholen würde?
Ich ging über den Flur. Ariana lag unter der Decke und hatte sich wie ein Embryo zusammengerollt. Die falsche Marlboro-Schachtel lag auf ihrem Nachtkästchen. Draußen rief irgendjemand etwas, ein Hund bellte, und dann blieb es still, bis auf das weiße Rauschen der Helikopter.
»Beim Drehbuch-Schreiben«, begann ich, »haben meine Charaktere immer einen kühlen Kopf bewahrt. Die kamen unter dem größten Druck noch elegant daher. Was für ein Blödsinn. So ist es überhaupt nicht. Mein Gott, ich hatte solche Angst.«
»Du bist immerhin davongekommen«, sagte sie.
»Vorläufig.« Ich ging ins Bett – unser neues Bett – und strich ihr über den Kopf. »Weißt du … Mord … Gefängnis … wir leben in einem Staat, in dem es die Todesstrafe gibt. Verdammt …«
»Wenn wir uns verkriechen und nichts tun, werden wir es nicht schaffen. Und die Aussicht ist mir einfach zu düster. Komm, wir wollen uns was versprechen. Als wir das letzte Mal richtig Probleme hatten, nach Don, nach dem Film, haben wir uns voreinander abgekapselt. Wir sind auseinandergedriftet.« Ihre dunklen Augen glänzten. »Egal, was jetzt passiert, wir stehen es zusammen durch. Und wir werden kämpfen wie noch mal was. Wenn wir verlieren, verlieren wir wenigstens mit Würde.«
In mir wallte Dankbarkeit auf. Meine Frau erneuerte das Gelübde, das wir vor dem Altar abgelegt hatten, als alles noch ganz einfach war und alle Wege offen. Damals, als ich mit weichen Knien dem Pfarrer zuhörte, hatte ich überhaupt nicht kapiert, was dieses Gelübde bedeutete. Ich hatte überhaupt nicht kapiert, dass es genau dann am wichtigsten war, wenn es am schwierigsten einzuhalten war.
»Egal, was passiert«, wiederholte ich mit heiserer Stimme,
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