Oder sie stirbt
verbliebene Verbündete? Mir fehlte fast der Mut, hineinzugehen und es herauszufinden.
Doch ich tat es trotzdem. Die Deckenleuchten waren nicht an, aber ein von innen beleuchtetes Kästchen an der Wand, auf dem man Röntgenbilder betrachten konnte, verbreitete einen fahlen Schimmer. Sally saß mit hängenden Schultern auf einer Bahre. Die Falten ihres Hemdes waren am Bauch dunkel. »Ich bin erledigt.«
Der Schreck fuhr mir in alle Glieder. »Wie? Gefeuert?«
Sie winkte ab. »Ich bitte Sie. Ich bin ein weiblicher Detective, und lesbisch obendrein, die können mich gar nicht feuern. Außerdem bin ich alleinerziehende Mutter. Wahnsinn, das ist echt mal ein sicherer Arbeitsplatz.« Sie wischte sich den Mund ab. »Die Fahrgestellnummer, die Sie mir gegeben hatten, gehört zu einem Mietwagen von Hertz. Die Kreditkarte wurde von einer Gesellschaft namens Ridgeline Incorporated ausgegeben. Jemand hat sich diese Firma mal für mich angesehen und meinte, das sind die reinsten Matrjoschka-Püppchen. Eine Hülle in einer Hülle in einer Hülle. Vielleicht ist ganz innen eine letzte Hülle – aber dann hat leider mein Handy gestreikt.«
»Warum geben Sie mir diese Informationen? Was soll ich …?«
Doch sie redete einfach unbeirrt weiter. »Wenn dieser Halbtote ein Zimmer weiter nicht der größte Zufall seit Martha Stewarts Börsengeschäften ist, dann sind diese Typen gerade dabei, ihre Spuren zu verwischen. Wahrscheinlich wollen die Sie lebend, denn wenn der Sündenbock draufgeht, wird alle Welt die Verschwörung wittern, und das …« Sie hob die Hände. »Aber die haben Sie jetzt im Visier, die warten ab und beobachten Sie.«
»Kann ich Polizeischutz bekommen?«
»Polizeischutz? Patrick, Sie sind der Hauptverdächtige.«
»Valentine und Sie sind die einzigen Polizisten, die mir glauben. Und Valentine will mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Irgendwo bei der Polizei könnte es noch eine andere undichte Stelle geben – vielleicht sogar im Morddezernat. Ich habe sonst niemanden, der mir helfen kann. Oder dem ich vertrauen könnte. Bitte lassen Sie mich nicht im Stich.«
»Ich habe gar keine Wahl.«
Sie hatte den Kopf schräg gelegt, und auf ihren Pausbacken erschienen rote Flecken. Um ihre Worte zu unterstreichen, hob sie die Hand, die schwebend in der Luft hängenblieb und ins Nirgendwo deutete. Von nebenan hörte man ein kontinuierliches Piepsen, und schaudernd begriff ich, dass es der Herzmonitor von Mikey Peralta war.
»Werden Sie …?« Ich brauchte einen Moment, um meine Fassung wiederzufinden. Im Vergleich zu ihrem Gefühlsausbruch klang meine Stimme nun richtig dünn. »Werden Sie die neuen Beweise dem Morddezernat übergeben?«
»Natürlich. Aber Patrick … bei jedem Fall gibt es gewisse Punkte, die man nicht in Übereinstimmung bringen kann, und angesichts der überwältigenden Beweise gegen Sie wird man sich jetzt ins Zeug legen und aufs Ziel lossteuern. Und zwar mit Volldampf.«
»Aber es gibt doch
handfeste Beweise …
«
»Nicht alle Beweise haben dasselbe Gewicht.« Sie wurde wieder wütend. »Sie müssen das so verstehen: Einzelne Beweisstücke bilden Blöcke, so sieht es aus. Derselbe Beweis kann für unterschiedliche Argumentationen herhalten. Auch für gegenteilige Argumentationen. Durch die Bilder der Überwachungskamera aus der Tankstelle sind Sie aus dem Schneider, was den Einbruch bei Conner angeht, aber Sie könnten ja auch jemand anders angeheuert haben. Verstehen Sie? Es gibt zwei Seiten, die ganz klar voneinander getrennt sind. Das ist nicht korrupt, das ist Politik. So funktioniert das System eben. Deswegen ist es ja auch ein System.«
Jetzt wurde ich genauso laut wie sie. »Das Morddezernat wird sich also einfach zurücklehnen und die Puzzleteilchen zusammensetzen, die es bis jetzt hat?«
Sie sah mich an, als wäre ich ein Vollidiot. »Natürlich nicht. Sie werden Tag und Nacht daran arbeiten, bis sie alles für eine fundierte Anklage beisammenhaben, und dann werden sie Sie festnehmen. Und zwar endgültig.«
»Und was … was soll ich tun? Nach Hause gehen und darauf warten, dass sie mich verhaften?«
Sie hob die Hände von den Knien und ließ sie wieder fallen. »Ich würd’s nicht tun.«
Die Krankenhausluft schmeckte nach bitterer Medizin, aber vielleicht lag es auch nur an mir. Sally rutschte von der Bahre und ging an mir vorbei.
»Ich muss meine Frau finden«, sagte ich. »Kann ich bis zu meinem Auto mitfahren?«
Sie blieb stehen, ohne sich umzudrehen, nur
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