Odice
morgendlichen Le-Monde -Lektüre an einem weiß gestrichenen schmiedeeisernen Art-Nouveau-Tisch und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Als er Odice sah, stand er auf und schob sich die dunkle Fliegerbrille von Tom Ford ins Haar.
»Guten Morgen, Odice. Hast du gut geschlafen?« erkundigte er sich mit diesem hinreißenden Lächeln auf den Lippen, als er ihr einen Platz anbot und ihr den Stuhl hinschob.
Sie konnte nicht anders, als zurückzustrahlen.
»Danke, mon seigneur . Ich habe hervorragend geschlafen.«
Julien zog eine perfekt geschwungene Braue hoch.
»Gewöhn dich aber nicht zu sehr an derart erholsame und störungsfreie Nächte. Das war eine Ausnahme, die allein dem Verlauf des gestrigen Abends geschuldet war.« Sein Tonfall klang drohend, doch das charmante Lächeln, das noch immer seine Mundwinkel und seine Augenpartie zierte, strafte die Strenge seiner Stimme Lüge.
Dann kam Sada mit einem silbernen Tablett und servierte Café au lait, frischgepressten Grapefruit-Saft und Croissants mit Butter und Konfitüre.
Odice spürte Juliens Blicke, während sie aß.
Was hatte diese Frau nur an sich, dass sein Herzschlag aussetzte, wenn sie den Raum betrat und es ihm die Sprache verschlug, wenn sie ihn anlächelte? Bonté divine! Welch ein Anblick, als sie soeben auf der Terrasse erschienen war und ihre rotblonden Locken in der Morgensonne gewippt und gelodert hatten wie die Mähne eines sündigen Rauschgoldengels. Ihre Haut war nicht von der durchscheinend wächsernen Blässe der Rothaarigen, mit bläulich durch-scheinenden Adern und Sommersprossen. Odice’ vornehme Porzellanhaut war ganz leicht gebräunt und schimmerte im warmen Licht. Und dann dieser Gang. Es war diese eigentümliche Mischung aus Schreiten und Schweben, aus Selbstbewusstsein und kontrollierter Zurückhaltung, die ihn so sehr beeindruckte. Dazu diese gerade Körperhaltung, in der nicht ein Hauch von Demut und Untertänigkeit lag.
Nun sah er ihr zu, wie sie mit grazilen Fingern das Silberbesteck hielt, kleine Butterflocken auf ihr Croissant strich und ab und an die Messerspitze in das Schälchen mit Orangenkonfitüre tauchte. Noch nie hatte es ihn so sehr fasziniert, jemandem beim Essen zuzusehen. Wie sie den Milchschaum und die Marmelade mit der Zungenspitze von ihren perfekt geschwungenen Lippen leckte. Bon dieu! Er war nicht nur fasziniert von diesem hinreißenden Anblick, er war tatsächlich erregt. Er spürte dieses verräterische Ziehen in den Lenden und verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl. Er kam sich vor wie ein unbedarfter Schuljunge, der seine Triebe und seinen Körper nicht unter Kontrolle hatte. Dabei war gerade die Selbstbeherrschung eine seiner großen Stärken. Es verlangte ein Höchstmaß an Disziplin, mit einer Sklavin zu spielen, einer schönen nackten Frau in verruchten Posen bittersüße Qualen zu bereiten, ohne gleich hemmungslos über sie herzufallen. Und nun saß er dieser korrekt, wenn auch durchaus attraktiv gekleideten Frau beim Kaffeetrinken gegenüber und spürte, wie ihm die Schamesröte ins Gesicht stieg. Julien schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und verschanzte sich hinter der Tageszeitung. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn zum letzten Mal etwas derart in Verlegenheit gebracht hätte.
Als Odice ihr Frühstück beendet hatte, hatte er sich wieder halbwegs akklimatisiert.
»Ich würde gern die Tagesplanung mit dir erläutern«, erklärte er.
Sie schaute ihn mit ihren schillernd grünen Augen aufmerksam an, schien sich dann aber der Gepflogenheiten zu erinnern und senkte den Blick.
»Wir erwarten heute Abend Gäste. Eric hat zwei seiner Partner und einen langjährigen Klienten seiner Kanzlei zum Dîner eingeladen.«
Odice erstarrte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Doch Julien fuhr bereits fort: »Keine Angst, wir werden uns selbstverständlich an die Vereinbarungen halten. Niemand außer Eric und mir wird Hand an dich legen und selbstverständlich werden wir auch dafür Sorge tragen, dass deine Identität keinesfalls preisgegeben wird.«
»Was genau soll das bedeuten? Ich erwarte, dass Sie mir ganz genau erläutern, was Sie mit mir vorhaben und worauf ich mich dabei einlassen soll.« Odice’ Stimme hatte kühl und sachlich geklungen und duldete keine Ausflüchte.
Julien lächelte entspannt.
»Wir erwarten von dir, dass du Sada ausnahmsweise beim Servieren zur Hand gehst und uns dann während des Dîners zur reinen Dekoration dienst. Dabei wirst du maskiert sein und niemand wird
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