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Odice

Odice

Titel: Odice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anais Goutier
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langflorigem Lammfell, eine ebenhölzerne Bauhaus-Kommode, ein schwarzes Daybed von Eileen Gray und einen skulpturalen Mackintosh-Stuhl in der Ecke war der Raum leer.
    »Wenn Sie sich jetzt bitte vollständig entkleiden würden, Mademoiselle?«
    Odice holte tief Luft und folgte Sadas Aufforderung. Anschließend befreite die Japanerin sie von dem Ballon und führte sie in die Mitte des Raumes, wo Odice splitternackt mit weitgespreizten Beinen auf dem weichen Lammfell niederknien musste.
    »Sie dürfen sich ruhig auf die Fersen niederlassen, aber spätestens wenn Monsieur Julien den Raum betritt, müssen sie Rücken und Schultern durchgestreckt halten, den Blick senken und Ihren Busen präsentieren.«
    Sada trat an die Kommode und nahm zwei lederne Manschetten aus einer der Schubladen, mit denen sie Odice’ Handgelenke auf dem Rücken fixierte.
    Dann ließ die Japanerin sie allein.
    Odice rechnete damit, dass Julien jeden Moment eintreten würde, doch es geschah – nichts.
    Minutenlang kniete sie so da, nackt und gefesselt, bis ihre Knie trotz des weichen Lammfells zu schmerzen begannen. Sie hätte einfach aufstehen und sich die Füße vertreten können, doch Sada hatte die Tür nicht abgeschlossen und sie würde ihre Position nicht schnell genug wieder einnehmen können, wenn Julien plötzlich auftauchen würde. So beschäftigte sich Odice intensiv mit den Fotografien an den Wänden. Alle zehn Arbeiten waren ihr aus Publikationen über den Surrealismus und die Fotokunst des 20. Jahrhunderts wohlbekannt, doch sie hatte sich noch nie so viel Zeit genommen, sie in allen Einzelheiten zu studieren.
    Da war Les Larmes , die wunderschöne und weltbekannte Nahaufnahme einer weiblichen Augenpartie mit gläsernen Tränen, die offenließ, ob es sich um Tränen der Freude, des Kummers, der Qual oder der Lust handelte. An der gleichen Wand hing ein Abzug der ebenso berühmten wie sinnlichen weiblichen Hals- und Kieferpartie, die so überstreckt war, dass sie vor dem Auge des Betrachters aufragte wie ein majestätischer Phallus.
    An der nächsten Wand war Man Rays Ingres-Adaption Le Violon , ein weiblicher Rückenakt mit Turban in der Tradition des großen französischen Klassizisten, mit zwei aufgemalten Brandzeichen in Form der f-förmigen Öffnungen eines Violon-Cellos auf dem nackten Rücken angebracht. Ihm gegenüber hing La Priére , eine skandalöse Großaufnahme von Lee Millers kauernder Kehrseite, wobei Geschlecht und Anus lediglich durch die unter ihrem Körper hindurch gestreckten Hände verdeckt wurden.
    Als nächstes folgten der kunstvoll gefesselte Skulpturentorso und die verhüllte, zur Sphinx verschnürte Nähmaschine und danach zwei pornographische Penetrationsszenen, wie Odice sie Man Ray niemals zugetraut hätte.
    Das letzte Paar bildeten zwei eindeutig an sadomasochistischer Ästhetik geschulte Fotografien von gefesselten Frauenkörpern aus der Serie The Fantasies of Mr Seabrook .
    Odice wusste nicht, wie lange sie nun schon wartete. Ihre Glieder taten weh, ihre Füße und Hände waren inzwischen eingeschlafen und sie fröstelte leicht. Ihr ging durch den Kopf, wie albern sie sich verhielt. Sie war eine erwachsene, selbstbewusste und selbstbestimmte Frau und nun hockte sie hier auf Geheiß einer japanischen Hausangestellten splitterfasernackt in entwürdigender Haltung und mit gefesselten Händen auf der Erde, um eine Bestrafung zu erhalten, die ihr ein ebenso schöner wie verkorkster, da sadistisch veranlagter Mann verabreichen würde. Und statt aufzustehen und über ihre eigene Dummheit zu lachen, malte sich Odice aus, was Julien wohl mit ihr tun würde und wurde dabei feucht zwischen den gespreizten Beinen.
    Sie ließ den Blick nochmals durch den sparsam möblierten Raum wandern und ärgerte sich zum wiederholten Mal, dass sie in ihrer knienden Position nicht in den Genuss des fantastischen Landschaftsblicks kam. Stattdessen fielen ihr jetzt die zahlreichen Haken und Ösen auf, die diskret an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Höhen an den Natursteinwänden angebracht waren und als sie den Blick an die Decke wandte, entdeckte sie außerdem die freiliegenden Deckenbalken, in die ebensolche Angeln integriert waren, sowie eine Spule mit einer schweren Kette.
    Dann endlich öffnete sich geräuschvoll die alte Tür hinter ihr und Odice zuckte unwillkürlich zusammen. Sie hatte nicht mehr mit Godots Erscheinen gerechnet.
    »Ich bin angenehm überrascht, dich so vorzufinden, Odice. Ist da etwa doch

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