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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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Er legte ihn auf die Theke vor Sigbrit Holland. Es war ein altes vergilbtes Foto von einer Klasse zehnjähriger Schüler und einer schmallippigen Lehrerin.
    »Sehen Sie, er ist mit meiner Ingeborg in dieselbe Klasse gegangen«,
sagte der Kaufmann. »Ja, Harald Adelstensfostre ist mit meiner Ingeborg in eine Klasse gegangen.« Er zeigte auf ein Mädchen mit blonden Zöpfen. »Das ist das letzte Bild, das von ihr aufgenommen wurde. Ja, das letzte Bild, das von meiner Ingeborg aufgenommen wurde. Im Jahr darauf bekam sie eine schwere Lungenentzündung und erholte sich nicht mehr.« Der Kaufmann hatte Tränen in den Augen und war von der Erinnerung so überwältigt, dass er ganz vergaß, sich zu wiederholen.
    Sigbrit Holland fluchte stumm. Wie sollte sie wegkommen, ohne allzu unhöflich zu erscheinen? Aber dann nahm der Kaufmann sich zusammen und zeigte auf einen kleinen hellhaarigen Jungen.
    »Das ist Harald«, sagte er und putzte sich die Nase in ein schmutziges Taschentuch. »Ja, das hier ist Harald Adelstensfostre. «
    Sigbrit Holland studierte das Gesicht des Jungen. Er war blond wie die meisten Kinder auf dem Bild, hatte ein schmales Gesicht und ein munteres Lächeln mit einem fehlenden Eckzahn. Aber was verrät das Gesicht eines zehnjährigen Jungen, der von seinen Klassenkameraden und seiner Lehrerin umringt ist, schon von einem werdenden Mann? Direkt neben Harald saß ein anderer Junge, der ihm aufs Haar glich. Sie nahm das Foto in die Hand, um es genauer anzusehen. Es bestand kein Zweifel. Der eine Junge war eine genaue Kopie des anderen.
    »Wer ist das?«
    »Ach ja, da kommen wir schon noch drauf. Wir kommen schon noch drauf«, nickte der Kaufmann, als wäre er mit ihrer Frage sehr zufrieden. »Hier fängt doch das Ganze an. Genau hier fängt das Ganze an. Er hier«, der Kaufmann zeigte auf den Jungen neben Harald. »Er hier ist Oluf, Oluf Adelstensfostre. Ja, sie waren Zwillinge. Zwillinge waren sie, Oluf und Harald Adelstensfostre. Sie waren wie zwei Tropfen Wasser, so sehr ähnelten sie sich, ja, wie zwei Tropfen Wasser waren sie.« Der Kaufmann hustete heftig und musste kurz warten, bis er weitersprechen konnte. »Sie waren Zwillinge mit Leib und Seele, das waren sie. Sie sahen nicht nur aus wie zwei Tropfen Wasser, sie verhielten sich auch so, als wären sie einer. Immer waren sie zusammen. Ja,
immer zusammen. Und sie machten immer das Gleiche, ja, genau die gleichen Dinge taten sie. Was der eine tat, tat der andere auch. Und was der andere machte, machte der Erste ebenso. Wenn Harald fischen wollte, wollte Oluf auch fischen. Und wenn Oluf schwimmen wollte, konnte man sicher sein, dass auch Harald schwimmen wollte. Ja, wenn man Harald sah, konnte man nicht umhin, auch Oluf zu sehen, und wenn man Oluf sah, konnte man nicht umhin, auch Harald zu sehen.«
    »Ja …« Sigbrit Holland hatte verstanden, aber der Kaufmann ließ sich nicht hetzen.
    »Wenn Harald etwas gut machte, machte Oluf es genauso gut, und das, was Oluf nicht konnte, konnte Harald auch nicht. Sie bekamen in der Schule die gleichen Noten, sie waren gleich stark, und der eine siegte nie über den anderen bei einem Wettlauf. Nein, einer konnte dem anderen nicht weglaufen.« Wieder hustete der Kaufmann. »Ja, so war das, immer zusammen, immer wie einer. So waren sie, Harald und Oluf Adelstensfostre, immer wie einer und immer zusammen. Ja, bis zu dem Tag, und niemand wusste richtig warum, und als man es herausfand, war es schon zu spät, und es ließ sich nichts mehr daran ändern. Ja, als man davon erfuhr, war es bereits zu spät, etwas daran zu ändern. «
    »Was ist passiert?«, versuchte es Sigbrit Holland, aber der Kaufmann ignorierte sie mit einem leicht irritierten Stirnrunzeln.
    »Zu spät war es. Viel zu spät. Der Schaden war bereits angerichtet. « Der Kaufmann dachte einen Augenblick nach. »Ja, da war der Schaden bereits angerichtet.« Er zeigte auf ein Mädchen mit Rattenschwänzen auf dem Bild. »Asta hieß sie. Ja, Asta war es, in die sich beide verliebten. Harald und Oluf verliebten sich Hals über Kopf in Asta. Jetzt im Nachhinein kann man wohl leicht sagen, dass man das hätte voraussehen können, dass sie sich in dasselbe Mädchen verlieben würden. Ja, es dürfte leicht vorauszusehen gewesen sein, aber trotzdem hatte niemand dem einen Gedanken geschenkt. Am wenigsten vielleicht Harald und Oluf selbst. Ja, am wenigsten die Zwillinge selbst. Aber an diesem Punkt ging es schief.« Der Kaufmann hustete, dass er

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