Odins Insel
Eisen los« , las Brynhild Sigurdskaer. Wieder betonte sie jede Silbe. »Nein, so steht es im Buch, aber so ist es nicht.« Sie dachte nach. » Nähere dich der Insel … wird die Antwort geben, das ist die Antwort«, sagte sie leise und schloss das Buch mit einem Knall.
Sie waren nicht mehr als ein paar Meilen gesegelt, als sie am nächsten Tag Karlsund erreichten. Sigbrit Holland ging sofort durch den Hafen und die schmalen Straßen mit den ordentlich in Stand gehaltenen, niedrigen weißen Reihenhäusern entlang und fand schnell den gut sortierten Kaufmann der Stadt. Eine schwache Nachmittagssonne schien von einem fast blauen Himmel, aber es war bereits Mitte September, und so hoch im Norden
war selbst das schönste Wetter immer noch eine etwas kalte Angelegenheit. Sigbrit Holland schüttelte sich, auch in dem Laden war es feuchtkalt.
Der alte, wettergebräunte Kaufmann stand selbst hinter der Theke. Er notierte sorgfältig jedes Teil, das Sigbrit Holland bestellte. Als sie fertig war, faltete sie die Liste zusammen und fragte nach der Insel Grinde.
»Die Insel Grinde?«, wiederholte der Kaufmann ungläubig. »Dahin kann man nicht segeln.« Er schüttelte den Kopf, offensichtlich schockiert, dass jemand auch nur auf diesen Gedanken kommen konnte. »Dahin kann man nicht segeln. Seit vier Jahren ist niemand mehr dort gewesen. Nein, seit vier Jahren ist niemand mehr dort gewesen.«
»Warum nicht?«, fragte Sigbrit Holland überrascht. »Im Reiseführer steht, dass im Sommer Fähren zu der Insel fahren und dass die Leute dorthin reisen, um den alten Leuchtturm zu besichtigen. «
»Ach ja, das war einmal. Das war einmal. Aber heute ist es nicht mehr so.« Der Kaufmann schüttelte den Kopf. »Nein, so ist es nicht mehr.«
»Was ist denn passiert?«
»Ach, das ist eine lange Geschichte. Ja, eine sehr lange Geschichte. « Der Kaufmann schüttelte weiter bekümmert den Kopf. »Es ist auch eine traurige Geschichte. Eine sehr traurige Geschichte. Was um alles in der Welt wollen Sie auf der Grinde-Insel? «
Wenn sie auch nur ansatzweise etwas aus ihm herauskriegen wollte, musste sie ihm eine plausible Erklärung liefern.
»Wir suchen nach einem Harald Adelstensfostre«, sagte sie zögernd.
»Nein, ich habe nie … Harald Adelstensfostre. Nein, nie habe ich … Harald Adelstensfostre. Aber ich sollte wohl besser… ja, das sollte ich.«
Die Türklingel erklang und eine Frau mittleren Alters betrat den Laden. Der Kaufmann musste die Frau bedienen, die sowohl Butter und Milch als auch ein halbes Dutzend Eier und Kaffee und Käse und ein wenig getrocknetes Fleisch und natürlich eine
kleine Unterhaltung über das Wetter und die letzten Neuigkeiten in der Stadt haben wollte. Das dauerte sehr lange, aber schließlich waren die Waren verpackt und bezahlt, und Sigbrit Holland war wieder mit dem wettergebräunten Mann alleine.
»Wo waren wir? Wo war es, dass wir waren?«, der Kaufmann schloss die Tür hinter der Kundin und trottete wieder hinter die Theke. »Ach ja, Harald Adelstensfostre.« Er hob die Hände, als wolle er die Erlaubnis der Götter erbitten, den Namen auszusprechen. »Harald Adelstensfostre.« Plötzlich blitzten seine Augen misstrauisch. »Sie sind nicht etwa eine Verwandte oder so? Eine Verwandte von Harald Adelstensfostre?«
»Nein, nein. Überhaupt nicht. Ich bin eine Freundin von einem seiner alten Freunde, und der hat mich gebeten, ihm eine wichtige Nachricht zu überbringen, wenn ich denn schon in diese Breiten komme«, erfand Sigbrit Holland schnell.
»Harald Adelstensfostre hat keine Freunde. Er hat überhaupt keine Freunde, Harald Adelstensfostre«, sagte der Kaufmann misstrauisch.
»Einmal hatte er welche. Das weiß ich.« Sigbrit Holland hielt den Atem an, und sie hatte Glück.
»Ja, vielleicht. Wenn Sie das sagen. Einmal hatte er Freunde, Harald Adelstensfostre. Ja, einmal hatte Harald Adelstensfostre Freunde.«
»Es ist wichtig, dass ich ihn finde«, fuhr Sigbrit Holland fort. Sie wurde langsam ungeduldig.
»Ach ja, ach ja.« Der Kaufmann wandte ihr den Rücken zu und schlurfte hinten in den Laden, wo er durch eine Tür verschwand, die wohl in seine Wohnung führte. Ihre Irritation wuchs. Entweder war der Mann unglaublich schwer von Begriff, oder er konnte ihr überhaupt nichts erzählen und wollte nur plaudern. Sie wartete ein paar Minuten, erst fünf, dann zehn und hatte gerade beschlossen, zu gehen, als der Kaufmann schließlich mit einem kleinen Glasrahmen in der Hand zurückkam.
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