Odins Insel
Juden als auch das einer kleinen Gruppe von moslemischen Männern, die offenbar keinen Anführer hatten. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich aus diesem Schubsen und Schimpfen ein richtiges Handgemenge, und bevor es der Polizei gelang, die verschiedenen Gruppen zu trennen, waren einige Fromme verletzt und wurden in die nahe Ambulanz gebracht, während ein paar unverletzte Demonstranten zur Polizeiwache gefahren wurden, da man sie der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung beschuldigte. Die Presse war zur Stelle; die Politiker konnten die Sache nicht länger ignorieren.
In den Abendnachrichten erschien der Justizminister auf dem Bildschirm, das Zentralkrankenhaus und die aufgebrachten Frommen im Hintergrund.
»Es besteht kein Anlass zur Besorgnis«, rief der Justizminister, um sich Gehör zu verschaffen. »Die Polizei hat die Situation voll im Griff, und morgen wird hier alles wieder seinen gewohnten
Gang gehen.« Er machte eine ausladende Bewegung mit dem Arm in Richtung Menschenmeer.
»Hat die Regierung eine Vermutung bezüglich der Identität des so genannten Herrn Odin Odin?«, fragte der Journalist, während die Kamera die Fahnen heranholte, deren Buchstaben längst von den Wassermassen verwischt worden waren und als schmutzige Tränen den weißen Stoff hinunterliefen.
»Ich rechne fest damit, dass die Polizei im Laufe von einem oder zwei Tagen im Stande sein wird, die Regierung über die Identität des Mannes aufzuklären.«
»Aber hat die Regierung eine Theorie?«
»Es ist zu früh, um dazu etwas zu sagen. Ich habe den Polizeidirektor und den Direktor der Ausländerbehörde morgen früh zu einer Besprechung einberufen, um mich weiter unterrichten zu lassen.«
»Und was hat es mit der Insel in der Meerenge auf sich, von der der Mann zu kommen behauptet?«
»Das ist nichts als eine Behauptung. Total absurd!«
»Aber unter den Fischern gehen Gerüchte um, dass diese Insel wirklich existiert, obwohl sie noch nie jemand gesehen hat. Wird die Regierung der Sache nachgehen?«
»Ich weiß nicht, warum wir das sollten. Alle kennen das südnordische Staatsgebiet, und das seit vielen Jahren. Allein der Gedanke ist absurd.«
Der Journalist wollte gerade eine weitere Frage stellen, als der Minister ihn unterbrach.
»Keine weiteren Fragen. Das war’s.«
Der Minister lächelte dem Journalisten und allen Zuschauern leicht angespannt zu und wiederholte, dass es ihm Leid täte, aber dass er wirklich gehen müsse. Dann verschwand er in dem wartenden Auto.
Es kam nicht viel heraus bei der Besprechung des Justizministers mit dem Polizeidirektor und dem Direktor der Ausländerbehörde. Keiner besaß Informationen, die zur Identifikation Odins beitragen konnten. Das Einzige, das mit Sicherheit gesagt werden konnte, war, dass zurzeit niemand mit Namen Odin Odin
um Asyl in Südnorden ersucht hatte, und damit hatte der Direktor der Ausländerbehörde nichts mehr mit der Sache zu tun.
»Die Tatsache, dass der kleine alte Mann die südnordische Sprache spricht, lässt darauf schließen, dass er sich längere Zeit im Land aufgehalten hat«, sagte der Polizeidirektor und berichtete von den Protokollen, die seine Männer von den Verhören mit Odin angefertigt hatten. »Aber wenn er sich lange hier aufgehalten hat, hätte ihn nach der von der Presse veröffentlichten Personenbeschreibung jemand erkennen müssen, und es hat sich niemand gemeldet.«
»Er könnte ein Krimineller sein, mit dem niemand in Verbindung gebracht werden will«, schlug der Justizminister vor.
»Das könnte gut sein. Aber in diesem Fall müsste sich sein Name oder seine Personenbeschreibung in unseren Archiven finden, und das ist nicht der Fall.« Der Polizeidirektor rieb sich die dunklen Ringe unter den Augen. »Wenn wir ein Bild von ihm veröffentlichen, wird vielleicht …«
»Sie haben bis zum Abend Zeit«, sagte der Justizminister kalt.
»Wir haben schon alles angeleiert, was wir konnten: Fingerabdrücke, Blutproben, Zähne, alles. Ich kann nur hoffen, dass Hinweise aus der Öffentlichkeit eingehen.« Der Polizeidirektor hob die Stimme, er wirkte in die Enge getrieben. »Das wird mindestens ein paar Tage dauern.«
»Es ist mir egal, was Sie tun oder wie Sie es tun. Aber ich will bis spätestens heute Abend eine Antwort!« Der Justizminister war wütend, dass er gezwungen war, seine Zeit mit so einer Absurdität zu vergeuden. »Und noch eins, bevor wir unsere Besprechung beenden.« Er erhob sich. »Ich will keine Wiederholung des
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