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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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heilige Führer der Lämmer des Herrn, und der heilige Anders Andersen hatte seit langem gewusst, dass der Herr seinen Hirten senden würde, um seine Lämmer vor dem Jüngsten Tag und der Vernichtung dieser Welt zu retten. Während man auf diesen Tag wartete, hatte der heilige Anders Andersen – mit dem teuflischen Geld, mit dem die gläubigen Lämmer ihre sündigen Seelen erleichtern durften – einen Unterschlupf für die Lämmer des Herrn und ein Heim für sich in einem imponierenden Palais in einem riesigen Park nördlich von Fredenshvile eingerichtet. Die Lämmer des Herrn konnten sich in den äußeren Bereichen des Palais und in bestimmten Teilen des Parks versammeln, die Bibel und die göttlichen Worte des heiligen Anders Andersen lesen, geistig inspirierender Musik lauschen und heiliges Gras rauchen, das von dem heiligen Anders Andersen selbst gesegnet worden war. Und hin und wieder, zu nicht vorhersehbaren Zeiten, tauchte der heilige Anders Andersen aus dem Inneren des Palais und seinen heiligen Nebeln auf, um eine seiner seltenen, aber sehr beliebten Predigten zu halten.
    Und genau wie der heilige Anders Andersen prophezeit hatte, war der Hirte des Herrn, genau als das Jahrtausend seinem Ende zuging, gekommen, um die Lämmer des Herrn zusammenzutreiben und auf die Reise zu den ewigen Weiden des Paradieses vorzubereiten. Die Lämmer des Herrn drängten zum Parkplatz des Zentralkrankenhauses, um zur Ehre des Hirten des Herrn, des Großen Mannes, das heilige Ritual – das sonst nur an Sonntagen vollzogen wurde – zu vollziehen. Sie rasierten sich die Haare ab, sammelten sie und verbrannten sie wie eine Opfergabe aus Wolle zu Ehren des Herrn und seines Hirten. Die Lämmer des Herrn waren so gottesfürchtig, dass es ihnen schnell gelang, sich unter den Demonstranten nach vorne zu kämpfen, und als sich auch die Wiedergeborenen Juden mithilfe ihrer Regenschirme und ihres angeborenen Vorrechts den Weg in die erste Reihe gebahnt hatten, sahen sich die Wiederauferstandenen Christen – trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit – erneut zurückgedrängt. Simon Peter II. entschloss sich, diese Schmach zu übersehen, und predigte laut und unverdrossen von seinem leeren Bierkasten,
während aus dem Haarhaufen ein ekliger Rauch aufstieg und der kniende Hesekiel von seinem runden Teppich ekstatische Laute von sich gab. Die führerlosen wütenden jungen Moslems schwangen im Takt zu göttlichen Slogans ihre Fäuste, und jeden Moment bildeten sich andere Gruppen und Untergruppen, nur um sich gleich wieder aufzulösen. Die Verwirrung war total, die Polizisten hatten alle Hände voll zu tun. Zwischen den Demonstranten brachen mehrere kleinere Kämpfe aus, und zu einem gewissen Zeitpunkt verlor die Polizei die Kontrolle über die Situation. Zusätzliche Mannschaften wurden angefordert, und mit der Unterstützung eines gewaltigen Regengusses gelang es der Polizei schließlich, die Gläubigen zu beruhigen.
     
    Im Krankenhaus war es Gunnar dem Kopf inzwischen geglückt, den entsetzten Odin zu überreden, sein Versteck unter dem Tisch zu verlassen, und der kleine alte Mann wich nun nicht mehr von der Seite seines Freundes mit dem riesigen Kopf. Bis auf die merkwürdige Tatsache, dass es mit ihm zu tun hatte, verstand Odin nichts von dem, was auf dem Parkplatz vor sich ging.
    »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte Gunnar der Kopf. »Du und ich, wir sind eins. Wenn jemand Hand an dich legt, kannst du sicher sein, dass er den nächsten Fußballkampf nicht mehr erleben wird.«
    Odin hatte erwartet, dass Sigbrit Holland vorbeikommen und ihm erklären würde, um was es bei dem Spektakel ging und um ihm zu sagen, wann Veterinär Martinussen die Vorschriften erfüllt haben würde. Aber sie kam nicht. Was Odin nicht wusste, war, dass der Justizminister angeordnet hatte, dass niemand die Erlaubnis erhielt, mit Odin zu sprechen oder ihn zu besuchen, es sei denn, er war nachweislich mit ihm verwandt. Man konnte nicht riskieren, dass ein paar Fanatiker den kleinen alten Mann kidnappten oder ermordeten, ganz zu schweigen davon, dass sich ein spitzfindiger Journalist ein sensationelles Interview erschlich.
     
    Dienstag und Mittwoch vergingen, ohne dass sich etwas Neues bezüglich Odins Identität ergab. Eine verblüffend einige Geistlichkeit
aller Glaubensrichtungen wies jede Behauptung über Odins Göttlichkeit zurück und verurteilte sie. Doch diese Stellungnahmen hatten keine Wirkung auf die Weltuntergangspropheten und ihr

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