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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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Der Fischer befreite Odin aus den Armen des überschwänglichen Lamms, trug ihn ins Steuerhaus, setzte ihn an den abgenutzten Mahagonitisch und schloss die Tür hinter sich.
    Der Fischer Ambrosius griff nach seiner noch glühenden Pfeife, die im Aschenbecher lag, und nahm ein paar Züge, bevor er etwas sagte. »Odin, da ist etwas, dass Sie verstehen müssen.« Der Fischer sprach langsam. »Es wäre besser, wenn Sie etwas Abstand zu den Menschen draußen auf dem Kai hielten. Sie könnten Ihnen etwas antun.«
    »Nein, nein.« Odin strich sich über den Bart und lächelte warm. »Sie sind nur gekommen, um Herrn Bramsentorpf und der südnordischen Regierung zu helfen, die Regeln und Formalitäten zu erfüllen.« Er seufzte und räumte dann etwas ein, das er wahrlich am liebsten nicht eingeräumt hätte: »Manchmal werden sie nur ein wenig zu eifrig.«
    Der Fischer legte Odin die Hand auf die Schulter und sah dem kleinen alten Mann in die Augen. »Es tut uns Leid, aber Sie müssen einsehen, dass die Menschen da draußen«, er nickte in Richtung des Kais, »nicht gekommen sind, um Ihnen zu helfen.«
    »Aber Herr Bramsentorpf…«
    »Wir wissen zwar nicht, was Herr Bramsentorpf Ihnen gesagt hat, aber die Menschen da draußen auf dem Kai sind krank.«
    Der Fischer Ambrosius schüttelte traurig den Kopf.
    Odin riss sein Auge auf und drehte sich den Bart um den Finger; es war wahrlich bemerkenswert, dass alle Beamten von Herrn Bramsentorpf und der südnordischen Regierung an derselben Krankheit litten.
    »Fanatismus«, fuhr der Fischer fort und nahm die Pfeife aus dem Mund und zeigte mit dem Mundstück. »Fanatismus, lieber Odin, genau das ist es.«
    »Fanatismus«, sagte Odin versuchsweise. Ob das wohl etwas Ernstes war, etwas wie Tollwut? Aber wenn alle Beamten von
Herrn Bramsentorpf und der südnordischen Regierung Veterinär Martinussen brauchten, war es kein Wunder, dass es so lange dauerte, die Regeln und Formalitäten zu erfüllen. Veterinär Martinussen war wahrlich ein beschäftigter Mann. »Ob man wohl irgendwann ein Mittel dagegen findet?«, sagte er, aber seine Worte veranlassten den Fischer nur, den Kopf zurückzulehnen und in schallendes Gelächter auszubrechen.
    »Odin, Odin, Odin«, lachte er. »Sie sind wirklich witzig. Vor einigen hundert Jahren hätten wir an ein Mittel glauben können. « Der Fischer lachte weiter. »Heute haben wir die Wahl. Die Wissenschaft hätte dem Fanatismus eigentlich schon längst ein Ende bereiten müssen, aber nicht alle wollen es besser wissen. Sonst hätten Adam und Eva es wohl schwerer gehabt, Darwin, Galilei und DNA zu überleben.«
    Odin verstand nicht ein Wort von dem, was der Fischer Ambrosius sagte, aber er wollte nicht fragen, weil ihn das möglicherweise mit dem gleichen Etikett versehen hätte wie die Menschen, von denen der Fischer sagte, dass sie es nicht besser wissen wollten. Und im Gegensatz zu ihnen wünschte Odin sich wahrlich, dass er es besser wusste, er war sich nur nicht ganz sicher, was es war, das er nicht wusste.
    »Sie müssen sich deshalb keine Sorgen machen«, unterbrach der Fischer Ambrosius Odins Gedanken. »Für Menschen, die verloren sein wollen, kann man nichts tun.« Er zeigte auf ein Bild des nordnordischen Königs in der aufgeschlagenen Zeitung. »Das hier ist von weitaus größerer Bedeutung für Sie und Ihr Pferd: Der König von Nordnorden beansprucht die Insel jetzt auch!«
    Odin konnte nicht recht eine Verbindung zwischen sich und dem nordnordischen König sehen und zwischen dem König und Rigmarole auch nicht, ganz zu schweigen von dem König und Veterinär Martinussen. Aber wenn der Fischer sagte…
    Es klopfte an der Tür, und bevor der Fischer Ambrosius antworten konnte, trat Sigbrit Holland ins Steuerhaus.
    »Haben Sie das gesehen?«, fragte sie ohne Einleitung. Ihre Augen flackerten. Es war das erste Mal seit dem Zusammenstoß mit den Klippen, dass sie zu dem grün-orangenen Fischerboot kam.
    »Treten Sie ein und setzen Sie sich, holde Frau.« Der Fischer
Ambrosius zeigte mit einer übertrieben höflichen Armbewegung in Richtung des freien Platzes auf der Bank neben Odin.
    Sigbrit Holland setzte sich auf die Bankkante, ohne den Mantel auszuziehen. Ein kalter Zug traf ihren Nacken, und sie drehte den Kopf – der Fremdling war hinter ihr eingetreten und verschwand jetzt in der hintersten Ecke des Steuerhauses. Ein Schatten glitt über Sigbrit Hollands Gesicht, und sie trommelte angespannt mit den Fingern auf die Tischkante. Sie wandte

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