Odins Insel
sich dem Fischer zu.
»Haben sie Recht?«
»Vielleicht, vielleicht nicht. Wie sollen wir das wissen? Aber es ist wohl auch egal, wer Recht hat. Für Odin läuft es auf eins hinaus.«
»Es können Jahre vergehen, bis so ein Streit ausgefochten ist«, sagte Sigbrit Holland aufgebracht.
»Ja, das kann passieren.« Der Fischer rauchte ruhig seine Pfeife.
»Dann können noch weitere Jahre vergehen, bis eine offizielle Verbindung zu der Insel eingerichtet wird.«
»Ganz richtig, holde Frau.« Der Fischer lächelte und nickte. Dann nahm er die Pfeife aus dem Mund und sah plötzlich ernst aus. »Genau deshalb haben wir angefangen, nach einer anderen Möglichkeit zu suchen, Odin und seinen Veterinär zu der Insel zu bringen.«
»Das ist wahrlich kein Problem«, warf Odin heiter ein. »Wenn erst die Regeln und Formalitäten erfüllt sind, kehren wir auf dem gleichen Weg zurück, auf dem wir gekommen sind.«
»Ich befürchte, dass das nicht so einfach sein wird«, murmelte Sigbrit Holland.
Aber Odin glaubte nicht, dass es einen Grund zur Beunruhigung gab. Wenn die Einwohner von Smedieby und die Einwohner von Posthusby, nicht zu vergessen, im Stande gewesen waren, das Meer zufrieren zu lassen, würden dann nicht auch einige der Einwohner des Kontinents in der Lage dazu sein – wenn sie es nur mit Herz und Hirn versuchten?!
Die Wanduhr klimperte halb sieben, und Sigbrit Holland sprang auf.
»Ich muss gehen«, sagte sie.
Aber auch der Fischer Ambrosius war aufgestanden, und bevor sie die Tür öffnen konnte, hielt er sie am Arm fest.
»Warum sind Sie immer so in Eile, holde Frau?«, fragte er und lachte, aber Sigbrit Holland war nicht sicher, ob er sie neckte oder zurechtwies.
»Mein Mann erwartet mich zu Hause«, sagte sie so ruhig, sie konnte.
»Und?«
»Er möchte, dass ich zeitig nach Hause komme, damit wir den Abend gemeinsam verbringen können.«
»Und Sie? Was möchten Sie?«
Sigbrit Holland senkte den Blick, ohne zu antworten.
»Sind Sie nicht langsam alt genug, um selbst zu entscheiden? Wird es nicht langsam Zeit, dass Sie tun, was Sie gerne wollen?«
»Das ist nicht so einfach«, wandte Sigbrit Holland ein und mied den Blick des Fischers. »Es gibt auch Ansprüche. Wenn man sich einmal verpflichtet hat…«
»Versuchen Sie einmal, sich zuzuhören«, unterbrach sie der Fischer. »Ansprüche! Pflichten! Welche Ansprüche? Welche Pflichten? Das ist es, wonach wir Sie fragen. Sollte es nicht Ihre Pflicht sein, für das zu arbeiten, woran Sie glauben? Fordert das Leben nicht mehr von Ihnen als ein Abendessen zu zweit mit einem Mann, der wie ein Fremder für Sie ist?«, rief der Fischer Ambrosius laut.
Odin hielt sich die Ohren zu, während der Fremdling nicht einmal blinzelte. Sigbrit Holland zitterte vor Wut.
»Sie wissen nichts von meinem Leben«, schrie sie und riss sich los. »Nichts!« Sie stürmte aus der Tür und drängte sich durch die Frommen auf dem Kai.
Herr Bramsentorpf und die sieben untadelig gekleideten Männer hatten ihn früh am Morgen abgeholt, und nach einer kurzen Autofahrt hatten sie sich gemeinsam in einem merkwürdigen Apparat, desgleichen Odin noch nie gesehen hatte, durch die Luft bewegt. Jetzt saßen sie in einem Tagungsraum, der fast genauso groß war wie Onkel Josefs Scheune in Smedieby. Draußen schien die Sonne, und Odin wunderte sich, dass die Einwohner des
Kontinents es bei dem schönen Wetter vorzogen, drinnen zu sein. Auch wenn er wahrlich nicht ahnte, was es hieß, in etwas zu arbeiten, das man auf dem Kontinent eine Verwaltung nannte, so hatte der Fischer Ambrosius ihm doch erzählt, dass Menschen, die in einer solchen arbeiteten, erwarteten, mit eindeutigem Respekt behandelt zu werden, deshalb hielt Odin es für das Sicherste, nichts zu sagen, ohne gefragt worden zu sein, und seinen Mund ganz fest geschlossen zu halten. Neben Odin und hinter einem Schild, auf dem Vorsitzender stand, saß ein kleiner dürrer Mann mit krummem Rücken und runder Brille. Odin erinnerte sich, dass er dem Mann früher am Vormittag in der Halle die Hand gegeben hatte und dass der Mann viel geredet und ihn zu etwas willkommen geheißen hatte, von dem Odin nicht ganz verstanden hatte, was das sein sollte – die Anhörung vor der Westeuropäischen Bastion bezüglich der Insel, die von der südnordischen Regierung Drude-Estrid-Insel und von der nordnordischen Regierung Hermod-Skjalm-Insel genannt wurde –, was aber vielleicht dasselbe war, wie das, was der Fischer Ambrosius als kleines
Weitere Kostenlose Bücher