Odins Insel
ihm der sehr große, sehr blonde junge Mann mit dem langen Namen erzählt hatte? Wie gerne Odin den armen Fanatikern auch geholfen hätte, er konnte es nicht; er brauchte selbst den Veterinär. Aber er konnte zumindest dafür sorgen, dass das Missverständnis aufgeklärt wurde.
»Ich kann nur sagen, dass ich nicht der wiedergekommene Christus bin«, sagte er und zog an seinem Bart.
In der dunkelsten Ecke des Steuerhauses brach ein hässlicher Lärm aus. Er kam von dem Fremdling, der lachte. Es war ein Schrecken erregender Laut, trocken und schneidend. Wie eine kranke Möwe, dachte Sigbrit Holland und fröstelte, während das hohle Hiksen anhielt.
»Das würde nicht helfen, Odin«, sagte der Fischer Ambrosius, nachdem das Hiksen des Fremdlings endlich aufgehört hatte. »Die Weltuntergangspropheten erfinden nur Geschichten, wie sie ihnen passen, und benutzen Ihren Namen und Ihr Hiersein als Vorwand. Wenn Sie zu ihnen sprechen, werden Ihre Worte sofort in neue Dogmen gepresst, und bald wird es genauso viele Versionen Ihrer Worte geben, wie Menschen auf dem Kai sind.« Der Fischer zog ein wenig an seiner Pfeife, während er Odins bekümmertes Gesicht ansah. »Sie müssen sich um diese Fanatiker keine Sorgen machen, Odin. Es sind kranke Menschen, wie gesagt. In gewisser Weise tun Sie ihnen einen Gefallen, bieten ein wenig Zerstreuung und ein paar gute Geschichten. Versuchen Sie sich vorzustellen, was das Leben dieser Fanatiker ohne Ihre Geschichte wäre.«
Davon hatte Odin natürlich keine Ahnung, deshalb sagte er nichts mehr. Aber wenn das, was der Fischer Ambrosius erklärte,
stimmte, würde Odin den Fanatikern gerne die Freude machen, mehr von Smedieby und natürlich Posthusby, nicht zu vergessen, zu erzählen und von dem Schmied und seiner Schmiede und von der alten Rikke-Marie und von Ida-Anna und ihrem kleinen Bruder und von Mutter Marie, von der unglückseligen Rigmarole und von Baltazar und all dem anderen, woran er sich erinnerte. Wenn er sich nur daran erinnern könnte, was vor Smedieby gewesen war… Ganz in seine Gedanken versunken, drehte Odin an seinem Bart.
»Wenn wir nur einen Weg finden könnten, Odin zurück auf die Insel zu bringen, würden sich die Dinge da draußen sicher beruhigen.« Sigbrit Holland sah aus dem Fenster, als könnte sie die kämpfenden Frommen noch immer sehen.
»Vielleicht, vielleicht nicht. Es wäre wahrscheinlich ein erster Schritt, aber wir bezweifeln, dass es mehr als das sein würde.« Der Fischer Ambrosius nahm seine Pfeife aus dem Regal. »Um Odin und seines Pferdes willen muss der Weg unter allen Umständen gefunden werden. Aber mit der Geschwindigkeit, mit der die Flugzeuge vom Himmel fallen und uns um die Ohren fliegen, wird das wohl noch etwas dauern.«
»Was glauben Sie, ist passiert?«
»Von einem zum anderen Augenblick verschwindet ein Aufklärungsflugzeug spurlos über dem Meer. Von einem zum anderen Augenblick verschwindet sowohl der erste wie der zweite Rettungstrupp. Es war sonnig, der Himmel war blau, nur ein leichter Wind ging, und trotzdem hat die Küstenwache nicht einmal einen Splitter der Wracks gefunden. Und jetzt hat das Verteidigungsministerium die Operation eingestellt.« Der Fischer hielt inne und stopfte seine Pfeife. »Da gibt es nichts zu glauben – weder für uns noch für jemand anderen. Wie die Seeleute sagen, nähere dich der Insel und die Hölle bricht los !«
»Nähere dich ihr oder erwähne sie ? « Sigbrit Holland lachte halbherzig, aber als der Fischer keine Miene verzog, fuhr sie in ernstem Ton fort. »Hören Sie auf, Sie haben selbst gesagt, dass das alles Ammengeschwätz ist. Und Sie wissen aus eigener Erfahrung, warum niemand sich der Insel mit einem Boot nähern kann. Aber das ist noch immer keine Erklärung dafür, warum
moderne Flugzeuge abstürzen.«
»Wer hat gesagt, dass sie abgestürzt sind?«
»Wenn sie nicht abgestürzt sind, wo sind sie dann geblieben?«
»Woher sollen wir das wissen?« Der Fischer Ambrosius zuckte mit den Schultern. »Aber wenn sie abgestürzt sind, erfahrene Piloten mit der besten Ausrüstung, warum haben sie dann keinen Notruf abgesetzt? Und warum hat man nicht das kleinste Wrackteilchen gefunden?«
Es herrschte eine kurze angespannte Stille, dann fragte Sigbrit Holland: »Was wollen Sie jetzt tun?«
»Nichts«, antwortete der Fischer.
»Nichts? Wie nichts?«
»Einfach nichts.«
Sigbrit Hollands Finger trommelten ungeduldig auf die Tischkante.
»Hören Sie, holde Frau, im Moment wissen wir
Weitere Kostenlose Bücher